54. „Ich zeichne Faultiere für die Nachwelt“ -Ice Age
„Nächste Haltestelle …..!“
Ich sprang auf. Wie der nächste Halt hieß wusste ich schon seit Jahren, schließlich träumte ich eben so lange mir hier meinen Lebenstraum zu verwirklichen. Zugegeben ein wenig nervös war ich schon, aber das gehörte eben dazu. In dem Moment kam mir der Lieblingsspruch meiner Großmutter in den Sinn, stets predigte sie mir: Leben heißt Veränderung sagte der Stein zur Blume und flog davon. Im zarten Alter von fünf Jahren gefiel er mir außerordentlich gut, doch spätestens als meine beste Freundin auf die andere Seite der Erde zog, ich von meiner ersten großen Liebe betrogen wurde oder ich meinen Lebenstraum entdeckte ging er mir zusehends auf die Nerven.
Es gab Dinge die sich nicht veränderten wie mein Traum beispielsweise. Fünf Jahre mochten für manche eine kurze Zeit, doch für mich war es eine halbe Ewigkeit und diese undefinierte Ära reichte aus um mir die Entscheidung der Vermählung mit mir selbst und der Kunst abzunehmen. Ich hatte gesucht, gelesen, weiter gesucht, Termine vereinbart, weiter überlegt, gefunden, verworfen, wieder gesucht und vor ein paar Wochen hatte plötzlich alles gepasst. Der Ort, die Menschen, der Preis sowie meine Wünsche. Endlich fühlte ich mich respektiert und ernst genommen, außer der Himmel. Er fand meinen Lebenstraum wohl nicht allzu prickelnd, denn er schickte mir den heißesten Tag des Jahres ohne auch nur eine einzige Brise geschweige den Wolken.
Zu meinem Bedauern war da nicht nur der sengende Scherz der brennenden Mittagssonne sondern ebenso diese Angst. Diese verdammte Angst, sie ließ sich trotz Optimismus und immer wieder kurz aufblitzenden Glücksgefühlen einfach nicht abschütteln. Unversehens spürte ich wie der Wagen langsamer wurde, dann erschien der kühle orange, grün, gelb gekachelte Bahnhof in meinem Blickfeld. Die Türen schwangen wie von Geisterhand und mit einem undurchdringlichen Quietschen auf und ich sprang quasi aus dem Zug. Ich durfte meinem Restzweifel auf keinen Fall die Oberhand übergeben. Komme was wolle, ich würde es durchziehen. Kneifen galt nicht, auch wenn niemand, wirklich niemand von meinem Vorhaben wusste. Wenn es auch nur irgendjemand erfahren hätte, wäre ich auf dem Präsentierteller meines gesamten Freundes- sowie Familienkreises verbal gehängt worden.
Aber egal ich durfte jetzt keine kostbare Energie verschwenden um mich um andere zu kümmern. Bloß nicht, also Treppe hinab sprinten. Die Hitze traf mich wie ein Vorschlaghammer, der Bahnhof selbst war trügerisch kühl gewesen, doch der Rest der Welt schien dem Hitzetod erlegen. Kein Wunder, dass keine einzige Seele auf der weiten Verkehrsstrasse zu sehen war.
Straßenseite wechseln, Fassade suchen… Noch 20 Meter. In mir kribbelte es, besonders in meiner Nase. Noch 10 Meter, ich fing an in meinem Schweiss zu baden. Die Hitze, und die Angst ließ meinen Körper einen gewaltigen Cocktail voller Adrenalin, Testosteron, Endorphine sowie Trijodthyronin. Konnten Frauen überhaupt Testosteron bilden?! Verdammt vor Aufregung konnte ich mir noch nicht einmal den Stoff des ersten Semesters merken.
Mittlerweile hatte sich meine Nervosität mit meiner Angst zu einem fiesen Darmknäul entwickelt welches sich ganz langsam als lähmende Ungewissheit in meinen Adern ausbreitete. Das Gift des Menschen: seine Launen. Hätte ich nicht doch noch einige Nächte darüber schlafen sollen? Oder lieber Sophie mitnehmen sollen? Ich hatte selbst überlegt, ob ich Anke bitte sollte… aber wenn es Anke wusste, wussten es alle.
Vor wenigen Tagen hatte ich mir noch gesagt, dass ich tapfer genug wäre um diese Stunden mit mir allein durch stehen zu können. Es wäre ein hervorragender Selbstfindungsprozess werden. So viel zum Thema Erwachsenenvernunft. Im Moment hatte ich nicht den geringsten Hauch des Gefühls, dass immense Schmerzen meine Selbstfindung auch nur irgendwie positiv beeinflussen würden. Wo musste ich eigentlich stehen bleiben? Richtig, bei Meter null. Null Meter über dem Abgrund der Hölle oder null Meter vor dem Eingang zum Himmel… Wie ging das gleich noch einmal? Schultern straffen, Brust raus und lächeln. Es würde so oder so kein zurück geben, also was sollte schon passieren. Dieses Ereignis hatte ich seit Monaten geplant… Es war alles abgesprochen worden, mehrmals sogar. Wieso blieben also mir diese Bedenken? Ich würde gerade wegs durch diese Tür hinein gehen, meine alte Hülle abstreifen und als vollkommen neuer Mensch hinauskommen. Wo war das Problem?!
Es gab keins. Punkt fertig aus, meine Angst wollte mir nur einen Streich spielen nichts weiter… Mit einem gewaltigen Zischen zog ich die Luft ein und drückte dann versucht entschlossen die Tür auf. Ein Windspiel ertönte. Ein Windspiel in einem Tattoostudio? Das war bei meinem letzten Besuch aber nicht hier gewesen… Sofort nagte die eben noch erfolgreiche verdrängte Angst wieder an mir. Windspiele hingen doch nur bei Dosensammelnden Omas, nicht dass ich etwas gegen dosensammelnde Oamas habe, die im Wald wohnen mit ihren zwölf Katzen, aber von einer solchen älteren Dame wollte ich in Paracelsus Namen nicht gezeichnet fürs Leben werden! War so etwas überhaupt legal? Die Crew zu wechseln ohne jemandem auch nur ein Sterbenswörtchen zu erzählen? Ich spürte wie ein sich das ganz kleine Schweißrinsal das meine Wirbelsäule entlang lief leicht anstieg, wehe es würde ein Amazonas werden. Ich sah mich im Vorzimmer um. Allerdings sehr, sehr langsam… Falls ich auch nur eine unbekannte Nasenspitze erblicken würde, wäre ich ebenso schnell wieder weg mit Hyperlichtgeschwindigkeit. Auf ins andere Ende des Universum!
Nach einigen Sekunden angestrengtesten Lauschens setze ich zögerlich einen Schritt vor den anderen Richtung Tresen. Dann fiel mein Blick auf die Klingel… Konnte ich es wagen? Sicher… Im Klingelstreichspielen war ich schon immer die Größte gewesen, nur Bowie war damals noch flinker gewesen als ich. Dennoch, sollte ich sie wirklich drücken? Dann gäbe es wirklich kein Zurück mehr. Jetzt könnte ich immer noch umdrehen und mir lebenslang einreden, dass ich es geschafft hätte, aber unter diesen Umständen niemals.
Wie in Zeitlupe beugte ich mich über die Theke, vielleicht könnte ich meinen Termin im Kalender durchstreichen und dann ganz still und leise wieder verschwinden. Noch einmal blickte ich mich um, es wäre peinlich gewesen sich erwischen zu lassen. Als ich nichts und niemanden sah, griff ich schnell nach einem nahe gelegenen Stift dabei beugte mich noch weiter hinunter. Plötzlich stutze ich, unter mir beziehungsweise vor mir saß ein Mann auf dem Boden und schien wahllos irgendwelche zusammenhangslosen Linien zu kritzeln. Dabei war er so vertieft in seine Arbeit, dass er mich nicht bemerkt hatte. In dem Moment, in dem ich heimlich den Ausgang ersuchen wollte atmete ich wohl lauter aus, als normal denn aprupt richtete sich der Mann auf. “Oh, äh, Entschuldigung“,stotterte ich und biss mir sofort auf die Zunge. Verdammt warum hatte ich mich zu Wort gemeldet… Warum hatte ich überhaupt ausgeatmet?!
“Oh Hallo. So spät schon? Entschuldigen Sie, ich war noch beschäftigt.“ Ich lächelte verlegen, jetzt bloß nicht rot werden. Mein komplett verschwitztes Gesicht sprach schon allein Bände. „Was haben sie denn gezeichnet?“ fragte ich und biss mir wieder auf die Zunge. Bei Nervosität war ich wirklich zu nichts zu gebrauchen, dass war leider auch schon meinen Professoren aufgefallen. Der Mann lachte. „Ich zeichne Faultiere für die Nachwelt, wissen Sie?“ War ich nicht schon vorher rot gewesen, war ich jetzt garantiert so rot wie eine reife Paprika. „Oh, ähh…“ an welchen Irren war ich denn hier nur geraten? Hatte die Crew etwa doch gewechselt. Wusste ich es doch! Sein Gesicht kam mir gänzlich fremd vor, ah wie kam ich jetzt aus dieser Situation wieder heraus?! einfach hinaus rennen, einen Ohnmachtsanfall antäuschen oder einfach nur die Irre spielen? Er könnte damit vermutlich sogar umgehen… Vorsichtshalber ging auf Abstand. Jetzt nur keinen Verdacht schöpfen. „Nett“ , stammelte ich. Da fing der der Mann plötzlich an zu lachen. „Ach, Frischfleisch kann man so herrlich verunsichern. Keine Angst. Ich habe noch alle Tassen im Schrank.“ Er tippte sich gegen die Stirn. Na, dann wollen wir dich doch mal für die Ewigkeit verschönern gehen gehen. Damit drehte er sich noch breiter grinsend als vorher um und bedeutete mir in einen der Hinterräume zu folgen, die ich zwar vom kurz Hineinluschern im vorbei gehen kannte dennoch nie betreten hatte. Die Frage der Sauberkeit war für ich nie ein Thema gewesen. Ich wusste vom Interieur allein, dass dieses hier schon eines der sterilsten in der ganzen Stadt war… das war das Erste was ich als Student lernte. Sauberkeit schätzen zu lernen.
Aber selbst jetzt war ich mir noch nicht vollständig sicher, ob ich dass hier auch alles wirklich wollte.
Doch ehe ich mich versah trat mein Fuß über die Schwelle und Zack Bumm stand ich in dem Raum, der mir nun für Jahre im Gedächtnis bleiben würde entweder als Ort des Horrrors oder als mein zweites Zuhause, dass konnte ich mir allerdings noch nicht wirklich vorstellen. Zumindest war er genau das Gegenteil eines OP-Saales, selbst in Privatkliniken gab es keine so geschmackvolle Einrichtung wie hier.
Denn der Raum war dunkelrot gestrichen, meines Lieblingsfarbe übrigens, und an zwei von den vier Wänden hingen einige Beispielsarbeiten, festgehalten in Form von farbigen Fotos. Porträtzeichnungen, die bis aufs Haar genau gestochen worden waren, Keltische Ornamente in Stein beziehungsweise in Haut gemeißelt, farbenfrohe Rocker Billy Motive und eine Reihe von abstrakten Mustern inklusive eines komplizierten Gemäldes eines Schwarzenloches sowie der dazu gehörige Schriftzug einer vermutlichen Formel. Wofür die stand blieb mir allerdings verschlossen. Ich und Physik waren noch nie besonders große Freunde gewesen.
Bei dem Anblick des irgendwie beruhigenden Ambientes verlangsamte sich mein Herzschlag auf 110 Schläge pro Minute… Im fast Ruhezustand nicht unbedingt erstrebenswert aber immer noch besser als die vorherigen 130. Je langsamer mein Puls desto mehr sickerte das erneute Gewissen der Ruhe in meine Nervenzellen. Ich kante ja schon einige Beispielsarbeiten von Luis und auch meine eigene Skizze, dennoch war es beruhigend, dass falls die Crew nicht gewechselt hatte der Rest ebenfalls sein Handwerk beherrschte. „Keine Angst, deins wird genauso wie die anderen hier. Qualität geht vor Quantität. Ich bin übrigens Kris“ Er hielt mir die Hand hin, ich drückte sie fest doch im Gegenzug und seiner riesigen Pranke kam mir mein Händedruck kläglich vor. Der Umstand das diese auch noch schweißnass waren machte die Situation nicht besser.
Zumindest war es hier drinnen um einiges kühler als draussen, ansonsten wäre mein Schweißamazonas zu den Niagara-fällen evolutioniert. „Laut Kalender willst du zu Luis, ich hole ihn gerade. Setz dich doch schonmal.“ Er deutete auf eine Liege vor einem Stuhl. 2Übrigens ich war die letzen Wochen im Urlaub, erklärt die Unbekanntheit deinerseits.“ „Meinerseits? Aber er kannte mich oder wie, was hatte Luis ihm erzählt?!
Die Ruhe von eben gerade begann zu schwanken. Klar ich kannte das Studio, aber wenn Luis dem Typen erzählt hatte was die Geschichte meines Tattoos war, ich schwöre ich würde ihn mit seinen eigenen Nadeln solange foltern bis er um Gnade bettelte. „Hey schön dass du da bist. meine Güte siehst du verschwitzt aus. ich hoffe dich kriegen wir wieder trocken vor dem tattoowieren…“ Mit den Worten trat Luis ein. Gerade als ich den Mund aufmachen wollte um mich lauthals darüber zu beschweren, dass er anscheinend sein Ehrenwort oder seine Schweigepflicht gebrochen hatte redete er schon weiter… „Bisschen aufgeregt was? Keine Angst, dass ist jeder hier, selbst die alten Hasen, auch wenn sie es nie zugeben würden.“ Währenddessen drehte er sich nach rechts zu einem silbernen Schränkchen und holte eine Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hervor. „Na dann fangen wir doch gleich mal an, oder möchtest du doch noch einmal eine Nacht darüber schlafen. Du schienst mir allerdings sehr selbstsicher“
Lediglich konstatiert nicken konnte ich, so direkt hatte ich mir das alles irgendwie nicht vorgestellt. Was hetze Luis denn plötzlich so? Er interpretierte das Nicken wohl als ein Zeichen meiner Zustimmung denn prompt hörte ich: „Achtung könnte gleich etwas brennen..!“ Er stürzte die Flasche auf ein Stück Papiertuch und presste dieses dann auf meine freigelegte Wade.
Reflexartig kniff ich die Augen zusammen, was wohl ein bisschen brennen bei einem Tattoo wieder bedeutete? „Jetzt…“ hörte ich Luis sagen. Ich erwartete einen riesige brennende Feuerkugel, dass meine Haut versenken würde doch das einzige was ich spürte war ein unangenehmes Ziehen auf der Haut. Erleichtert atmete ich aus. „Die Schmerzen kommen später. Hier trink erst einmal was… Ist ja erst die erste Sitzung und das war ja auch erst das Desinfektionsspray.“ Bei den Worten blieb mir das Wasser sprichwörtlich irgendwie im Hals stecken, sofort meldete sich ein fieser Würgereiz. „Nu mal langsam, ich will ja nicht dass du uns hier von der liege rollst weil du keine Luft mehr bekommst“ Damit malträtierte er leicht meinen Rücken mit ein paar handfesten Schlägen.“ So viel zum Thema ich ziehe das durch. Inzwischen spielten Angst,und Panik ein Fangspiel mit meiner Vernunft was der Vernunft allerdings gar nicht gefiel, denn die zwei jagten dir unerbittlich ihn und her und sie selbst hatte das Gefühl auf einen Abgrund zuzulaufen.
Statt meinem Instinkt zu folgen und schreien aufzuspringen legte ich bloß meinen Kopf auf die Liege und schloß die Augen. Bitte lass es nicht zu sehr wehtun dachte ich mir. Um mich herum hörte ich es bloß rascheln, kramen, hin und herräumen, auf und zu drehen und schließlich war es still, totenstill. „Biste dz noch da?“ Luis Stimme klang wie von einem anderen Stern. Ich bejahte mit einem Art Seufzer. Wenn ich jetzt den und aufmachen würde, würde ich bloß schreien. Meine Vernunft war gerade freiwillig vor meinem innere Auge in den Tod gesprungen. Auf nimmer Wiedersehen… „Dann wollen wir mal. Jetzt wird’s haarig.“ Ich kniff jetzt nicht nur die Augen zusammen sondern auch die Zähne. „Ganz ruhig versuch entspannt zu bleiben und beweg dich nicht. Sonst verwackle ich und das wollen wir beide glaube ich beide nicht. Er lachte leise. Mir war ganz und gar nicht zum Lachen zu mute, denn als er die Nadel einstach hätte wäre ich meiner Vernunft am liebsten sofort hinter her gesprungen. Das war keine Feuerkugel, dass waren mindestens zehn die dort meine Wade hinauf wanderten. Ich keuchte, diesen Schmerz konnte ich niemals hinunter schlucken, bereits jetzt hatte er er schon all meine körpereigene Fasern durchdrungen und war gerade wegs auf dem Weg gierig mein Gehirn zu zerfressen. Mein Denkapparat signalisierte mir mittlerweile im Sekundentakt „Lauf!“. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Meine Wade war kein Körperteil mehr von mir sondern nur noch ein flammendes Inferno, dass bis auf den Knochen nicht mehr existent war.
Wie war das noch mal mit der Schmerzempfindlichkeit an der Wade? Anscheinend hatten sämtliche Erfahrungsberichte untertrieben. „Alles okay da vorne?“ durchbrach Luis meine Mauer des Schmerzenschweigens. Ich grummelte, zu mehr war ich nicht mehr in der Lage. Mein Gehirn pochte, das Stechen fand nicht mehr nur dort unten satt sondern überall in meinem Körper.
Behutsam drehte ich meinen Kopf, bloß nichts überstürzen. Habt ihr einen Holzklotz?“, nuschelte ich in mich hinein. Ich sah Luis förmlich grinsen… „Einen was?! Meinste etwa zum drauf beißen? Wie im Wilden Westen? Sein Grinsen konnte ich nun hören… Gedanklich verdrehte ich die Augen und grunzte abermals. Zwar hatte der die Nadel abgesetzt doch der Schmerz brannte dennoch weiter. „Wie cool, darauf ist noch keiner gekommen! Allerdings hat auch noch keiner bei einer Wade so gelitten. Müsste ich nachschauen… Vielleicht weiß Kris mehr“ Ich atmete erleichert auf, wenn er nun selbst suchen gehen müsste bescherte mir das wertvolle Minuten Pause. Mein Kiefer war binnen Minuten versteift, als ob ich in Beton gegossen worden wäre. Oh du lieber Paracelsus bitte, bitte bitte.. lass Kris zeichnen. Aber meine Hoffnungen wurden jäh zertrümmert als von relativ nahem ein ungläubiges „Wofür ?“ ertönte. „Für die Lady hier. Drei Stunden können sehr lange werden.“ Luis Stimme begann schon wieder vor Lachen zu schwanken. Dabei schüttelte er den Kopf, reflexartig hatte ich meine Wade weggezogen. Ich war jetzt schon für die Ewigkeit gezeichnet mit einem postraumatischen Tattootrauma, da wollte ich nicht auch noch eine Gurke beschert bekommen.
„Das hab ich noch nie erlebt…“, Kris Meinung war wohl die meist vertretenste. „Besser als schreiend aus dem Laden zu rennen.“, entgegnet Luis nur noch ungerührt und fuhr plötzlich ohne Vorwarnung einen Bogen unterhalb meiner Kniekehle. Der Schmerz war gigantisch… Ich brachte lediglich einen Stöhnen aus meinem Kiefer heraus. Meine Zahne schienen miteinander verwoben zu sein. Ein Stöhnen, das geradewegs aus der Hölle kam. “Hilfe, bei den Geräuschen bekomme ja selbst ich Angst.“ Ich blinzelte, durch den Tränenschleier erkannte ich wage einen Schatten „Hier, dein Klotz, sogar abgeschliffen“ Wenn das Witzig sein sollte, verstand ich es nicht und Luis anscheinend auch nicht wobei der wieder voll konzentriert meinen Unterschenkel zerfräßte.
Automatisch klappte ich meinen Mund auf wie ein Laternenfisch in diesem Moment war es mir egal ob mich jemand für komisch hielt. Er wusste ja bereits eh alles, also konnte er mir genauso gut nun das Holzstück in dem Mund legen. Er würde es mir später danken…
„Erstes Tattoo ist immer beschießen, besonders die ersten Minuten. Keine Angst wird bald besser. Kris versuchte ein Lächeln, danach verschwand er wieder in Richtung Tresen. Vermutlich um die Realität zu verbergen, da es nicht besser würde. Wie durch Watte hörte ich das zarte Klimpern des Windspieles. Offenbar ein neuer Kunde, der sich in den Tempel des Wahnsinns begab. Ob er wusste worauf er sich da einließ? Doch statt denjenigen zu warnen biss noch fester auf den Holzklotz. Er oder sie wollte das Tattoo genauso unerbittlich wie ich, also würde sie keiner vom Gegenteil überzeugen können. Ob man sich den eigenen Kiefer beim festbeißen wohl brechen konnte? Ich notiere mir, genau diese Frage am nächsten Montag meinem Professor vor den Latz zu knallen. Dann vergrub ich mein Gesicht weiter in die Liege hinein. Vielleicht würde ich ja wie Gregor durch einen Art Abfluss fallen und i einer Welt ohne Schmerzen aufwachen, dass wäre gar keine schlechte Vorstellung. Halte durch, sei kein Weichei, sei kein Weichei! Mit diesem Mantra verbrachte ich die nächsten Stunden, die Zeit zog sich. Wie viel Zeit war wohl schon vergangen, 20 Minuten 40, 90 oder doch erst 10? Die Physikstunden damals waren hierzu lachhaft gewesen. Langsam wurde der Zeitsirup zu Honig und die Zeit schien endgültig stehen zu bleiben. Mein Gehirn meldete immer nur noch das sehe Signal „Lauf!“, mein Kiefer war nicht mehr Existenz genau so wenig wie mein gesamtes linkes Bein.
„Erste Stunde geschafft“ durchbrach die Stille, Luis Stimme.“Dann wurde der Schmerz plötzlich ein klein wenig besser, ich öffnete die Augen. Erst jetzt bemerkte ich, das ich die Luft angehalten hatte. Wohl nicht die ganze Stunde lang, dass war unmöglich. Aber lange genug um dringen Sauerstoff zu benötigen. Ich spuckte den Klotz aus und atmete tief durch. Anschließend griff meine Hand gierig nach der großen Wasserflasche, die neben mir stand und trank. Im Holzkreuz zu trinken war unangenehm, aber das Bein würde ich nie wieder bewegen können. Niemals, hoffentlich konnte ich am ende überhaupt noch gehen…
„Bin gleich wieder da, bleib bloß liegen“ und damit verschwand auch Luis.
Ich seufzte und legte den Kopf wieder auf die Liege. Noch zwei Stunden, warum konnte kein Bär kommen und den einfach nicht endenden Zeithonig auffressen? Schnips, weg war die Scheiße.
Mein Handy summte. Eine Nachricht… Es war Anke…
Sag mal… Was machst du gerade? Ich äh muss dir was erzählen…
Oh nein…! Nicht auch noch diese Hölle, der Freundschaft und Gefühlsduselei. Anke war zwar ein unglaublich lieber, herzensguter Mensch aber ihr Glück für Fettnäpfchen war riesig.
Was hatte sie wohl dieses Mal wieder angestellt? Was allerdings noch viel wichtiger war, was sollte ich ihr antworten? Bin gerade beim Arzt, im Kino, bei Lars? Oder einfach die Wahrheit? Ich würde allerdings weder laufen können noch telefonieren… Ich konnte ja noch nicht einmal schreiben, war ich vor schmerzen gelähmt. Eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung war vermutlich nichts.
Wieso stachen sich Menschen mehrere Tattoos?
Im komplett Dunkeln wollte ich sie aber auch nicht stehen lassen, also was nun: Ganz langsam sich mein Daumen zu bewegen, nach Minuten der Ungewissheit lass ich mein unbewusst fabriziertes Werk, was. „Beim Arzt!“ lautete. Besser als nichts, damit holte ich mir meinen Klotz zurück.
Jetzt ertönten Schritte. NEIN! Meine Schmerzen waren immer noch da und Luis kam schon zurück? Warum?
Ehe er den Raum betrat biss ich wieder ins Holz und ballte meine Hände zu Fäusten. Wer brauchte schon Gras wenn er Holz haben konnte. Ich spürte wie meine Knöchel weiß wurden. und weiter ging es… da war er wieder, der vollständige Schmerz.
Was tat man nicht alles für einen Gastornisschädel aus Federn…
… wer solche mitreissenden Phantasien zu Papier bringen kann, darf in der Realität auch mal mit Handbremse fahren… KRASS
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wow…….wenn Du jetzt kein eigenes Tatoo hast, dann hast Du eine Geschichte aus dem Ärmel gezaubert, unglaublich……und selbst wenn es es so war, so cool beschrieben, ich habe total mitgelitten ….und aehm…Gastornisschädel gegooglet ;-)
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Nein mein Tattoo exestiert nur auf Papier, aber ich habe mich dennoch lang genug damit beschäftigt :D
(Alle Tattosendungen und Dokus zu dem Thema duechgeschaut, also falls du mal nachts wach sein solltest Sixx ist dafür ein super Sender :D )
Gastornis isn wunderbarer Vogel oder?^^
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ja,……die in L.A. sind total klasse, finde ich !!!!Ich schaue das gern…..das sind wahre Künstler……Deine Story war genial!!!!! Gastornis ist cool :-)))
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… ein Phönix ist ein wunderbarer Vogel *ggg*
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Oh jaaaaa, bei dem Federvieh reicht allerdings schon ein Archaeopteryx um das zu toppen… :D
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… der erneuert sich aber nicht nach Sonnenbrand…
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Das stimmt… Der Archaeopteryx konnte noch nicht einmal richtig Fliegen, auch Laufen war eher nicht drin zumindest keine langen Strecken.
Das ist Selbstheilung deutlich effektiver
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… mein reden…
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… ich gerade auch… ;-)
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sie hat es so klasse beschrieben……obwohl ein Vogel, der nicht fliegen kann….ob das noch was in 20 Jahren ist…….muss ich sie nochmal fragen ;-)
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… die Stelle mit dem Bären und dem Zeithonig war DER Hammer!!!
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Ja…..aber nicht nur die…..ich habe tatsaechlich mitgelitten und war mir am Ende nicht sicher , ob es erlebt war oder nicht ……ich hab mir auf meinen Zahnersatz gebissen, hatte ja kein Holz 😂😂😂😂
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… ging mir ganz genau so, zumal ich den haargenauen Bericht einer Freundin über das entstehen ihres Tatoos kenne. Sie musste gedopt werden um nicht von der Liege zu springen… meine Tante schenkte mir Ohrringe zu meinem dritten Geburtstag und ich bekam ungefragt zwei Ohr Pearcings vom Dorfschuster… mein Bedarf an Verschönerungsschmerz ist für alle Zeiten gedeckt….
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Ein Talent für Schmerzen beschreiben hast du definitiv. *lach*
Nachdem ich mich selbst tätowierte ist der Drang irgendwas ewig an mir zu haben vollends verschwunden.
Schön geschrieben, wirklich sehr gut. Du hast es unter Kurzgeschichte und Lebenserfahrung verschlagwortet. Existiert das Tattoo also tatsächlich? Und warum habe ich dann kein Foto gesehen?
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Also Kurzgeschichte einfach deshalb, weil es kein Roman geworden ist wie die letze Geschichte :D und Lebenserfahrung war es indirekt, da sich sämmtliche Freunde gerade tattoowieren lassen (zum 18. Geb.) und ich quasi die Dramen um falsches Eincremen, flasche Tattoowierer und auch gerne selbstgestochene Piercings hautnahm miterleben darf…
Und ehrlich gesagt, also ich plane… Siet langem, habe aber keine Ahnung ob ich es jemals umsetzen werde, da Tattoos und Falten ja eher mäßig gut aussehen und wenn die Tinte ausfranst etc. ^^
Also es exestiert also auf Papier :D
Ich bin ja tatsächlich ein Fan von Kompassen, Sektanten, Globen, Wasserfarben oder geometrische Berge also leider sehr Hipster und sehr im Trend… Rocker Billy Style mag ich beispielsweise gar nicht.
Ps: Was hast du denn hübsches, Beetlejuice? ;-) und das mit den Schmerzenbeschreiben freut mich, habe hart daran gearbeitet xD und danke für das Lob
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