Horror

Die Namenlosen, Teil III

Endgültig fassungslos und nichts Gutes ahnend stürzte ich aus der Höhle und rannte den steinernen Pfad entlang. Eine dumpfe Vorahnung machte sich in meiner Magengegend breit und sie verhieß absolut nichts Gutes.

Je länger ich rannte, desto mehr wuchs meine Sorge, irgendwann begann sie mein innerstes so stark zusammenzupressen, dass mir ganz flau wurde. In der Ferne glaubte ich Amons Rufe zu hören, aber ich wurde nicht langsamer. Es war mir egal, das einzige was zählte war so schnell wie möglich zum Plateau zu gelangen. Wenn der Weg leicht anstieg und ich meine Beine einen Teil in die Knie gezwungen wurden hörte ich Schritte. Schritte die nicht meine waren, gefolgt von schwerem Atem. Aber sie gingen in dem Geräusch von umherspritzendem Geröll und meinen Keuchen unter, als dass ich hätte feststellen können wessen Atmen es wirklich war. Amons oder der Atem einer Stadtwachen, die durch meine Unvorsicht mich schon längst entdeckt hatte. Falls es so wahr wäre ich fast froh gewesen. Auf der anderen Seite spürte ich, dass mein Körper dieses Tempo nicht mehr lange würde halten können. Meine Lungen brannten, meine Füße schmerzen und ich war immer noch geschwächt. Kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch sah ich den letzten Anstieg bevor sich vor mir das Tal auftuen würde. Das Tal in dem das Dorf lag. Wie auf Kommando rissen sich meine Beine noch einmal zusammen, trugen mich über die Schwelle hinweg nur um mich dann straucheln zu lassen. Gerade konnte ich mich noch fangen, bevor ich mich Hals über Kopf überschlagen hätte. Ich humpelte gen Kante und was ich sah verschlug mir die Sprache.

Das Tal, was einst die Stadt beherbergt hatte exestierte nicht mehr. Zumindest nicht mehr wie ich es in Erinnerung hatte. Vor mir lagen Ruinen: in Trümmern teils brennen teils bereits gelöscht und immer noch rauchend. So weit das Auge reichte erblickte ich nichts weiter als Trümmer und mir wurde schlecht… Menschen. In Mitten all dem Chaos lagen Teile von Menschen.

Ich wusste eigentlich sollte ich mich freuen, wir hatten unsere Rache schließlich bekommen. Oder sollte ich eher sagen Amon und was war mit den angrenzenden Landen? Eine fehlende Stadt würde doch bemerkt werden… Jeder würde wissen, wer es gewesen war und sie bräuchten nicht lange um uns zu finden, wenn sie sämtliche Truppen des Reiches nach uns schickten. Oder vielleicht doch? Mir wurde plötzlich eiskalt, immer noch keuchend, schwitzend und völlig fassungslos stand ich am Abgrund und starrte ins Leere. Hinter mir wurden die Schritte wieder lauter, das Keuchen blieb allerdings aus.

„Was- Was hast du getan?!“, flüsterte ich die Antwort bereits wissend trotzdem drehte ich mich nach ihm um. Mittlerweile kam es mir lächerlich vor, dass ich tatsächlich geglaubt haben könnte eine Stadtwache sei hinter mir her nicht nach Amon. Ich war froh, wenn es schnell gegangen war. „Ich sagte doch, wir hatten viel Spaß“, seine Stimme klang heiser. „Spaß?! Was, du meinst du hast…“ Meine Stimme überschlug sich, „Du kannst doch nicht eine ganze Stadt zerstö…“, abermals brach ich den Satz ab und setzte wieder neu an „Du glaubst, dass merkt keiner?“ Meine mittlerweile schrille Stimme verhallte über dem Tal. Man würde sieKilometer weit hören, aber das war mir ebenso gleich wie die fehlende Deckung. Mein Denken versagte und ich endete meine halbherzige Tirade nur noch mit „aber sie waren doch unschuldig…“

Ich zuckte bei meinen eigenen Worten zusammen. Hatte ich das wirklich gerade gesagt? Nein, dass durfte nicht wahr sein. Aber ich wusste, dass es wahr war und ich wusste ebenso, dass er es wusste. Nur würde er es niemals wahrhaben wollen. Ich stand im Schweiß, wusste ich doch dass es die falschen Worte zur falschen Zeit gewesen waren. Ehe ich mich verteidigen konnte kreuzte sich mein Blick mit Amons. Es würde kein Zurück geben, nicht für mich. War Amons Miene schon vorher grotesk gewesen blickte ich in das Gesicht eines nicht mehr menschlichen. Wobei wir noch nie menschlich gewesen waren, wir hatten es nur versucht und er war daran wohl zerbrochen.

„Unschuldig?“ zischte er ganz leise und fixierte mich dabei wie ein Raubtier. Dann hob sich ein Mundwinkel, sein grausamstes Lächeln kam zum Vorschein. „Wann hast du das erste Mal den Tod zu Gesicht bekommen?“ Ich öffnete den Mund, da sprach der einfach weiter. „Ich meine damit nicht nur einen toten Körper, sondern einen töten Körper von jemanden den du geliebt hast. Ich meine den Hunger in den Augen von deiner Familie, deinen Freunden, deinen Verwandten. Die ausgemergelten Körper, die aufgeblähten Bäuche. Offenen Wunden, die nicht versorgt werden können, die Maden die sich dort drin eingenistet haben, der Geruch von verwesendem Fleisch. Die Toten, die schon lange nicht mehr leben aber auch nicht bereits zum sterben sind, Mütter die ihr Frischgeborenes im Arm halten und im besten Falle gleich mit ihm zusammen sterben damit sie das Leben nicht ertragen müssen?“ Die letzten Worte spuckte er mir mit purer Verachtung in Gesicht. „Wann hast du dies jemals gesehen?!“, schrie er mir nun endgültig entgegen. Dann rissen seine Wunden wieder auf und er verstummte, sein Gesicht voller Schmerz.

Ich wollte den Mund au machen. Ihm antworten ihn abermals beruhigen und zur Vernunft bringen. Doch mir fehlten erneut die Worte das Geschick jemandem wieder Hoffnung zu schenken. Stattdessen schaute ich ihn einfach nur an und begann mich zu fragen, ob Amon jemals wieder zur Vernunft kam vielmehr kommen wollte.

„Wusste ich es doch… Falls du es nicht weißt oder vergessen hast ich konnte meine Eltern nicht mehr vergraben, weil ich keine Kraft mehr dazu hatte. Ich hatte die Wahl zwischen Chumur in Sicherheit bringen oder den Rest des Stammes in Stich lassen. Seitdem sehe ich sie jede Nacht, schreiend, wimmernd, langsam verwesend. Leben, was nie bereits war zu leben außer Chumur. Chumur, mein kleiner Bruder und Engel, ein Wunder. All die Jahre hat er es geschafft zu überleben. Ich weiß nicht wie und es ist mir bis heute egal. Wenn ich ihn sah, bekam ich erneut die Hoffnung auf ein neues, besseres Leben. Trotz Hunger, Tod und Schmerz war er nicht zu bändigen. Sein Blick strotze vor Trotz und Neugier und jedes Mal wenn ich aufgeben wollte half er mir wieder auf die Beine und brachte mich dazu weiter zu machen. Weiter zu jagen, weiter zu bauen, weiter uns davor zu bewahren entdeckt zu werden. Nur uns zwei, die anderen konnte ich schon nicht mehr retten. Weshalb also musste er sterben und ich nicht?!“

In dem Moment setzte sein Husten wieder ein. Er begann sich wieder vor Schmerzen zu krümmen und drohte erneut zusammen zu sacken. Ich war hin und her gerissen, hatte ich zwei Möglichkeiten Fliehen oder Kämpfen. Mir war klar ich müsste früher oder später sowieso gegen ihn antreten. Aber jetzt und hier? Er war so etwas wie mein Bruder, er hatte mir das Leben gerettet und wer wusste schon ob er sich nicht wieder beruhigte. Die Wahrscheinlichkeit, dass er von irgendeinem Menschen hier gefunden würde lag nicht einmal so niedrig, wenn ich Glück hatte würde sich das Problem von selbst erledigen. Langsam bewegte ich mich immer weiter vom Abgrund hinfort und dann fing ich wieder an zu rennen. Amon hatte wieder angefangen Blut zu spucken und lag auf allen vieren. Kurz bevor ich in ihn reingelaufen wäre setzte ich zum Sprung an und… Dann ging alles ganz schnell. Ich sah noch aus dem Augenwinkel wie Amons Arm hochschnellte meinen Fuß packte und sich dann in einer blitzschnellen Drehung aufrichtete. Ehe ich ausweichen konnte wurde ich durch die Luft geschleudert. Ich verlor jegliche Kontrolle und überschlug mich in der Luft und sah den großen Felsen zu spät. Brennender Schmerz durchfuhr zuerst meinen Kopf dann meinen Torso und schließlich mein Steißbein. Ich drohte nach vorne zu fallen, versuchte mich abzufangen aber vergeblich. Der Schmerz war zu groß, um meine Arme auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Amon hatte sich inzwischen wieder erholt, wankend kam er auf mich zu gehumpelt. „Dachtest du ernsthaft du könntest fliehen“, sein manischen Grinsen setzte wieder ein und ich Begriff, dass ich verloren hatte. Ich würde hier nicht mehr rauskommen, dass Einzige was ich tun konnte war ihn mit mir zu nehmen.

„Du hattest ernsthaft geglaubt ich hätte vergessen, dass du an dem Tag für die Schutzzauber verantwortlich gewesen bist? Du warst schon immer naiv gewesen aber für so dumm hätte ich dich wirklich nicht gehalten. Schade, ich hatte wirklich geglaubt, dass es sich lohnen könnte jemand anderem außer mir selbst zu vertrauen.“ Mich auf ihn konzentrierend

beobachtete ich ihn wie er näher kam. Ich musste bei Bewusstsein bleiben, andernfalls war meine Chance vertan. Die weißen Punkte vor meinen Augen wurden immer mehr, sie fingen an zu tanzen, zu kreiseln und schließlich hatte ich das Gefühl zu fallen. Mein Kopf drohte zu explodieren, mein Rücken fühlte sich so an als ob gerade jeder Wirbel einzeln gebrochen würde und meine Rippen lagen überall dort wo sie definitiv nicht hingehörten. Ich biss mir auf die Lippe. Überdecke ferneren Schmerz mit näherem, es war mein letzter Versuch bei Bewusstsein zu bleiben um Amon auch nur irgendwie zu stoppen. Die Menschen hatten bereits genug bezahlt… Ich musste nur den richtigen Moment abpassen dann könnte ich ihn packen und mit mir ziehen. Aus den Augenwinkeln nah ich gerade so den Klippenrand wahr.

Nur noch Umrisse erkennend bemerkte ich Amon wie er immer noch schwer atmend vor meinen Beinen Halt machte. Weshalb kam er nicht näher? Würde er mich hier liegen lassen? Über die Klippe ziehen würde er mich nicht, dafür war er zu schwach. Aber da stand er, Minute für Minute. Ich spürte wie er kämpfte nicht gegen sich, sondern gegen seinen Körper. Er war am Limit, soviel stand fest. Ich wollte etwas sagen, brachte aber gerade so ein Grunzen heraus.

Ich bemerkte wie nun nicht mehr nur aus meiner Lippe Blut lief, sondern sich ein kleines Rinnsal an meiner Schläfe gebildet hatte. Der Schmerz nah abermals zu und schlug in Wellen durch meinen gesamten Körper. Mein Geist wehrte sich, durfte ich noch nicht nachgeben aber mein Widerstand sank zusehends. So lange Amon außerhalb meiner Reichweite stand hätte ich keine Chance. Verzweifelt versuchte ich meine letzten Energiereserven zu mobiliseren, aber vergebens. Ich konnte weder nach rechts noch nach links geschweige den aufstehend.

Die Schwärze um mich herum wurde größer, Amons Keuchen dumpfer, meine Schmerzen schwächer, mein Blickfeld kleiner und mein Atmen schwächer.

Zuletzt setzte ihre Atmung aus. Eins musste man ihr lassen, sie war verdammt zäh gewesen. Zäh aber so unfassbar naiv. Ich machte einen Schritt nach vorne bis ich neben ihr stand und schaute auf sie herab. Wenn nicht die Knochenbrüche gewesen wären, hätte sie fast so ausgesehen als ob sie schlafen würde. So friedlich, so unschuldig wie mein kleiner Bruder. Beide hatten für ihre Fehler zahlen müssen, auf dass sie nun auf ewig i frieden Ruhen würden. Damit trat ich einmal fest gegen sie und sie rollt über die Kante. 

Die Namenlosen, Teil II

Nicht einmal geschrien hatte ich, dafür war in den Augen meiner Mutter zu viel Angst gewesen. Instinktiv war mir bewusst gewesen, dass es nicht nur um mein Leben ging. Sobald ich den Sack wieder geöffnet hatte sprang ich vom Wagen und rannte so schnell es ging davon. Vor der nächstbesten Taverne erfuhr ich aus einem Gespräch, dass meine Heimat bis auf die Erde abgebrannt worden war. Überlebende hatte es offenbar keine gegeben. Wer an dem Brand Schuld war wusste man noch nicht. Je länger ich dem Gespräch gelauscht hatte desto seltsamer war es mir vorgekommen. Meine Nackenhaare stellten sich auf, mein ganzer Körper weigerte sich diese Geschichte zu glauben. Geschweige denn mein Bewusstsein, da ich endlich erkannte was das für mich bedeutete. Nur hatte ich keine Zeit weinend zusammen zu brechen. Erstens würde ein weinendes Kind in dieser Gegend auffallen wie ein grünes Schwein und zweitens merkte ich wie meine Fingerspitzen wieder  zu kribbeln anfingen. Das bedeutete nie Gutes und ich suchte abermals das Weite. Wie durch ein Wunder traf ich auf Amon und seinen kleinen Bruder. Eigentlich trafen sie auf mich, weil ich in eine ihrer Hasenfallen getreten war. Amon war kurz davor mich zu verprügeln, aber Chumur beruhigte ihn wieder und nach längerem zögen und misstrauischen beäugen nahmen sie mich schließlich mit. Weshalb, sollte ich erst sehr viel später erfahren.

„Wo sollen wir denn noch hin?“, zerriss eine Stimme die Stille und mich somit aus meinen Gedanken. „Wohin verdammt?! Sie sind überall…“ Amon musste sich beruhigt haben, zumindest hatte er das Schluchzen gestoppt. Nur noch ein leichtes Zittern verriet wie ausgelaugt er war. Ich schwieg – wusste ich doch auch keine Antwort. Dann ein schlurfendes Geräusch. Ohne den Kopf zu drehen sprach ich in die mittlerweile aufgekommene Dunkelheit „Leg dich wieder hin. Nocheinmal verarzte ich dein Bein nicht.“ Als Antwort hörte ich lediglich etwas durch die Luft sirren, reflexartig rollte ich zur Seite ehe hinter mir die Steinwand splitterte.

Ich schluckte, hatte er gerade begriffen wessen Schuld Chumurs Tod gewesen war? Würde er mich töten? Nein, so dumm würde er nicht sein. Momentan konnte er nicht alleine überleben, mich umzubringen wäre sein Todesurteil. Ich war die Einzige, der er vertrauen konnte. Wobei vertrauen? Vielleicht kannte er so etwas nicht mehr. Vielleicht war in den letzten Nächten etwas in ihm zerbrochen, was nie wieder zusammengesetzt werden könnte.

„Du fragst mich, ob ich verrückt bin? Mein Bruder stirbt gerade und dass einzige an was du denken kannst ist mein verdammtes Bein?! Wenn ich dafür meinen Bruder wieder zurückbekommen würde, würde ich es mir bei vollem Bewusstsein abhaken.“, den letzten Satz knurrte er förmlich wie ein wildes Tier. Gern hätte ich ihm geholfen. Ihn aufgemuntert, dass alles gut werden würde. Aber ich wusste genauso gut wie er, dass dies eben nicht eintreten würde. Das was ich für ihn tun konnte war ihn in Ruhe zu lassen und zusehen, dass ich uns zwei irgendwie durchbrachte. „Tut mir Leid“, flüsterte ich statt dessen und verstummte dann wieder. Keine Reaktion. „Tut mir Leid“, wiederholte ich ein bisschen lauter. Wieder nichts, dann drehte ich ganz langsam meinen Kopf zur Seite. Was ich dort sah, erschreckte mich.

Der Amon den ich vor mir sah, war nicht mehr der Amon den ich vor wenigen Tagen zuvor gekannt hatte. Sein Haar hing strähnig herunter, sein Gesicht eingefallen und seine Augen immer noch genauso tot und leer wie vor ein paar Stunden. Ein Teil der fast verheilten Wunden waren wieder aufgerissen und bildeten blutige Rinnsale die sich nun langsam durch sein zerfurchtes Gesicht bahnten.

„Weißt du, wir müssen ihn auch gar nicht lebend retten.“, er legte den Kopf zur Seite und strich sich versonnen über die Stirn und dann durchs Haar. Dabei verschmierten seine Hände einige der noch frischen Blutspuren. Spätestens jetzt glich er einem Monster, einem kalten, grausamen Monster. Ob in diesem oder ob schon Jahre davor der Wahnsinn sein Gehirn zerfressen hatte –  eines konnte ich mit Sicherheit sagen. Amons Augen waren nun alles andere als leer. Sie waren erfüllt von blankem Hass, auf mich, auf Chumur, auf die Menschheit und die ganze Welt. Dieser Hass würde nicht eher ruhen bis er Genugtuung dafür bekommen hatte was ihn so hatte wachsen lassen. Dieser Hass war nichts anderes als die Gier nach vollkommener Rache, egal was kommen mochte. „Fangen wir mit dem Mädchen vom Fluss an…“, setzt er nach.

Ich stutzte, richtig das Mädchen vom Fluss. Das hatte ich schon ganz vergessen. Wir waren damals noch nicht lange in der Gegend gewesen und starben des Hungers. Seit Tagen war nichts mehr in unsere Fallen gegangen und wirklich Zeit die Gegend zu erkunden hatten wir ebenso wenig gehabt. Amon hatte damals den Vorschlag gemacht sie auszurauben und als Geisel mitzunehmen, für was auch immer. Doch Chumur hatte dagegen gestimmt, stattdessen hatte er den Vorschlag gemacht sie zu beobachten. Die Vorräte einer Familie oder vielleicht sogar eines ganzen Dorfes waren besser, als der läppische Haufen Algen, den sie gerade geerntet hatten.

Unsere Hoffnung wuchs je länger wir das Mädchen beim ernten beobachteten und sie wuchs weiter, als wir ihr folgten. Sie war so etwas wie ein Hoffnungsträger, mit ihrer Hilfe würden wir vielleicht einen Weg ins nächste Dorf finden. Es kam noch besser, sie führte uns nicht nur zu einem Dorf sondern sogar zu einer kleinen Stadt. Gerade groß genug um nicht aufzufallen, gerade klein genug damit nicht übermäßig viele Stadtwachen beschäftigt werden konnten.

Damals hatten wir Glück gehabt, dass der Händlerstrom so groß gewesen war und die Wachen offensichtlich betrunken. Ansonsten wären wir vermutlich sofort gejagt worden. Verdreckte, ausgezehrte Menschen wollte keiner in seiner Stadt haben, egal wie groß oder klein. Der einzige Ort wo wir nicht aufgefallen wären, wäre die nächtliche Parallelwelt unter den Brücken und Hafenvierteln gewesen. Der Wald blieb reizvoller, nur nicht unbedingt nahrhafter weshalb wir uns entgegen Chumurs Meinung griffen was wir tragen konnten und so schnell wieder verschwanden wie wir gekommen waren. Es war auch der erste Streit zwischen Amon und seinem kleinen Bruder gewesen, wir hatten nicht gewusst wie viele noch folgen würden.

Vorsichtig schielten meine Augen nach links. Er schien sich beruhigt zu haben, zumindest hatte er bisher keinen weiteren Ton von sich gegeben und so wie es aussah war er wohl vor Erschöpfung eingeschlafen. Mir fiel ein kleiner Stein vom Herzen – erst jetzt bemerkte ich wie angespannt ich gewesen war. Meine Arme und Beine schmerzten und mein Nacken brannte. Mit der Entspannung kamen allerdings auch wieder die Gedanken, die Vorwürfe, die Ängste.

Hätte ich etwas ändern können? Hätte ich Amon von dem Mädchen erzählen sollen? Hätte er mir überhaupt zugehört? Wohl kaum, vor allem was hätte er mit Chumur getan? Im besten Falle wohl eingesperrt… Und mit dem Mädchen…? Obwohl ich mich versuchte so gut es ging abzulenken, blieb ich in meinen Gedanken und den ewigen Fragen gefangen…

Ein Scharren holte ich mich in die Realität zurück. Was war das gewesen? Schlagartig schlug ich meine Augen auf und verharrte in einer Art Schreckensstarre. »Versteck dich« zischte es durch meinen Kopf, doch bevor ich aufspringen wollte lauschte ich noch einmal genauer.

Das Scharren hatte aufgehört, stattdessen keuchte jemand so als ob derjenige entweder gejagt worden wäre oder sehr lang gerannt war. Vorsichtig hob ich den Kopf, wenn ich mich nicht allzu dumm anstellte konnte ich den Überraschungsmoment nutzen, aber dazu musste ich erst einmal feststellen wie viele es waren. Draußen dämmerte es bereits, demnach war ich eingeschlafen, meine Aufgabe war die Wache gewesen. Ich hatte ein weiteres Mal versagt, wenn uns was passierte war ich Schuld. Wobei ich das so oder so war, viel zu verlieren hatte ich nicht. Wie waren die hier hineingekommen?! Egal, ich rechnete mindestens mit zwei Wachen, Männern, Plünderen wer auch immer sie waren… sie mussten sterben. Ich rollte mich zur Seite und sprang mit einem Satz auf die Beine, noch im Sprung drehte ich mich in die vermeintliche Richtung und setzte zum Angriff an.

Nur waren dort keine Männer, zumindest nicht dort wo ich hinzielen wollte. Der Einzige, der dort stand war Amon. Stehen war jedoch arg übertrieben, er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Das Keuchen stammte offensichtlich von ihm. Inzwischen war es mehr ein Röcheln geworden, dann plötzlich sackten ihm die Beine weg und er fiel auf die Knie. Immer noch röchelnd, sich an die Kehle fassend und immer noch nach Luft schnappend.

Mein Adrenalin nahm überhand und eilte zu ihm, wollte ihm helfen und wusste abermals nicht wie. Ich fluchte, ich konnte zwar heilen nur beschränkte sich das auf Schnittwunden und einfache Knochenbrüche. Die Rede war nie von halbtot gewesen… Wenn ich ihm nicht half würde er so oder so ersticken, ich ging das Risiko ein ihm das Brustbein zu brechen und trat dagegen, gleichzeitig packte ich ihn an den Schultern, sodass er nicht nach hinten fiel. Ich hatte den Fuß noch nicht zurück gezogen da übergab er sich. Schlagartig färbte sich alles rot, mein Fuß, mein Schienbein, seine Knie und der Boden um uns herum.

Als ich begriff was es war wurde mir schwindelig, dann schlecht und zuletzt schwindelig. Trotzdem hielt ich Amon irgendwie immer noch in meinen Armen. Sein Röcheln war mittlerweile in Husten übergegangen. Nein warte, das war kein Husten Amon lachte. Was zur Hölle… „Was hast du getan“, flüsterte ich… Sich immer noch auf mich stützend richtete er sich nun auf. Ich wusste nicht was schlimmer war, sein Gesichtsausdruck oder der Umstand, dass er immer noch stehen konnte.

„Sagen wir… Ich habe ein kleines Fest veranstaltet, zu Ehren vo….“ Er stockte als suche er nach den passenden Worten… „Zu ehren meines kleinen Bruders.“, beendete er den Satz.  „Wir hatten viel Spaß“, ergänzte er schnell. War mir vorher schon flau im Magen gewesen, war mir jetzt endgütig schlecht. „Was meinst du damit?“ Er legte den Kopf schief und sah mich durchdrungen an, dann bewegte er den Kopf zur anderen Seite der Schulter. Es knackte. „Weiß du nicht was Spaß haben bedeutet?“, sein grinsen wurde breiter. „Siehst du, deshalb habe ich dich nicht geweckt. Ich wusste du würdest etwas dagegen haben“ Er stoß sich von der Wand und ging leicht schwankend in Richtung Schlafplatz. Erst jetzt schaute ich an ihm runter. Seine Kleidung sah nicht besser aus als der Rest. Dann bemerkte ich den Sack, der am Höhleneingang stand. Meine Augen weiteten sich langsam vor Schreck als ich zu ahnen begann, was er getan hatte. Langsam drehte ich mich zu ihm um „Woher hast du das“ und deutete mit dem Kopf gen Leinenhaufen. Amon schaute zu mir auf und zog abermals die Schultern hoch und bedeutete mir, dass er keine Ahnung hätte. „Gewonnen schätze ich? Schau nicht so“. er grinste wieder und begann fröhlich zu pfeifen.

Die Namenlosen, Teil I

Die letzten Tage gab es ein kleines Hin und Her mit der Geschichte. Sie sollte eigentlich am Sonntag erscheinen und dann zwitscherte mir eine Kiwi, dass hier ein paar Logikfehler etc. drin wären. Da ich ein wenig in sauer lag (zu wenig geschlafen, zu viele Konzerte) habe ich es erst einmal runter genommen. Jetzt ist es aber hoffentlich endgültig fertig und ich wünsch euch ganz viel Spaß:

Ausdruckslos starrte ich in die Leere. Am großen Platz vorbei hinein ins Nichts. Völlig unbeeindruckt von all den sich amüsierenden und aufgeregten Massen. Sie waren Schuld  gewesen wie immer in meinem Leben. Was hätte ich darum gegeben schreien zu dürfen, alle bösen Erinnerungen hier und jetzt aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Warum?! Warum konnte ich es nicht? Warum musste es uns treffen? Viel mehr warum ihn? Warum nicht mich…oder uns? Wer war denn so böse gegen jene, die noch nie auch nur irgendetwas verbrochen hatten, jene die seit Jahrhunderten verfolgt und verhasst wurden.… Wie konnten sie es wagen. Meine Kehle war wie zugenäht, zugenäht von verhassten, paranoiden Staatsführern, die an jedem und allem ein Exempel statuieren mussten und das Schlimmste war, die Mehrheit spielte mit. Aus Angst hielten sie sich versteckt. Wer wollte sich schon den Verurteilten anschließen? Noch nicht einmal die kleinsten Kleinstkinder wären so dumm gewesen. Hier zu leben war Selbstmord auf Raten, aber sich dagegen zu wehren pure Folter.

Bevor mich auch nur irgend jemand wahrnahm verschwand ich im Wald, irgendwohin. In unser altes Versteck konnte ich ja nun nicht mehr. Verbrannt hatten sie es und nicht nur dass, vorher hatten sie es auch noch zerstört und anschließend erneut ausgeräuchert. Natürlich nur um uns zu vertreiben. Wir, die möglicherweise noch irgendwo hätten liegen können unter den Trümmern begraben. Wie hatten sie uns nur finden können?! Ich hatte doch sämtliche Siegel verstärkt, alle Kreise neu gezogen, selbst die Steine neu gesät und doch hatte ich bei einem von uns dreien versagt. Eine Silbe zu schnell gesprochen, eine Linie nicht gleichmäßig gezogen oder eine Rune falsch gesetzt. Mir war klar, dass es jeder Zeit wieder passieren könnte… Dann wären wir wieder einer weniger und letztendlich ganz fort. Seit Jahrhunderten wurden wir bereits gejagt und nie war jemand von uns am Tod eines Mitglieds Schuld gewesen. Bis heute, heute war ich es. Ich versuchte den aufkommenden Würgereiz zu unterdrücken, ich wusste das es Amon wusste und er wusste, dass ich wusste. Sein Bruder war aufgrund meines Fehlers gestorben. Gerechtigkeit sah anders aus.

Ein Entrinnen würde es nicht geben, nicht mehr für ihn. Für keinen von uns. Vielleicht hätten wir ihn vor Jahrtausenden mit unseren Legionen retten können, aber Zeiten änderten sich.

Zu zweit, war es schlichtweg unmöglich. Dort wo Amons kleiner Bruder nun bis zu seinem Tod verweilte würde es düsterer und tödlicher sein, als die menschliche Hölle selbst.

Schon bei dem puren Gedanken stellten sich meine Nackenhaare auf. Gleichzeitig verlangsamten sich meine Schritte, meine Füße hatten mich automatisch zum Unausweichlichen geführt. Ich wusste was auf mich wartete, vielmehr lauerte. Ein verzweifelter Amon in der Hoffnung seinen Bruder wieder zu sehen. Ich hatte es ihm in aller Naivität versprochen. Ich hatte ihm geschworen Chumur zurückzubringen, schließlich standen die Chancen am Anfang sogar gut. Bis zu dem Moment, als Chumur gestand oder vielmehr dem Druck nachgab zu gestehen. Wie versteinert hatte ich zusehen müssen wie der Gong geschlagen wurde, der dumpfe Klang hatte meine Füße erfasst, meine Knochen durchdrungen und war durch die Mauern hindurch auf die Straßen getragen worden. Insgeheim hoffte ich, dass es Amon gehört hatte. In seinem Zustand, ihm den Tod seines Bruders zu verkünden machte mich wahnsinnig vor Angst. Gleichzeitig wusste ich je länger ich wartete, desto schlimmer würde seine Reaktion und ich wollte nicht noch jemanden verlieren. Nicht jetzt, selbst ihn nicht. Ich war schließlich kein Mensch. Wir würden schon einen Weg finden wie bisher immer.

Ich schloss die Augen, hörte auf meinen Herzschlag, versuchte ihn wahrzunehmen nur um ihn anschließend zu packen und zu schütteln auf, dass er endlich Ruhe geben sollte. Nichts geschah, ich begann sogar leicht zu schwanken. Sofort öffnete ich die Augen. Es musste enden, jetzt hier sofort, sonst würde ich noch vor Kummer verrückt.

Unsicher lehnte ich mich an den Stein und ließ mich innerlich fallen. Niemand, selbst der stärkste Rammbock hätte diese Wände zerbrechen können. Außer man war wie wir, nicht menschlich. Doch ehe ich mich überhaupt sammeln konnte, wurde ich an der Schulter gepackt und so stark herumgezerrt, dass ich das Gleichgewicht verlor. Wäre die Hand nicht gewesen, wäre ich vermutlich auf den harten Steinboden gestürzt.

Staub wirbelte auf und verklebte meine Wimpern, nur undeutlich sah ich die Gestalt vor mir. Dann ein erneuter Ruck durch meinen Körper, die Gestalt vor mir hielt mich gepackt wie ein Schraubstock. „Wo ist er?!“, donnerte es mir entgegen. Erst nach Sekunden begriff ich, dass es Amon war. „Sag mir wo er ist oder…“ er vergrub seine Fingernägel in mein Schlüsselbein und ich zuckte vor Schmerz zusammen. Durch den inzwischen wegeblinzelten Staub konnte ich seine Befürchtung geradezu wachsen sehen. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, dann erfasste der Schmerz der Verzweiflung seinen Körper, übermannte ihn und begann seine Seele zu zerfressen.

Bevor er sich wieder fassen konnte stieß ich ihn von mir weg und stolperte ein paar Schritte nach hinten. Bloß raus aus seiner Reichweite. „Du weiß ganz genau wo er ist“, flüsterte ich leise. Noch immer vermied ich der Wahrheit ins Auge zu sehen . „Ist-ist er tot?“, stieß Amon hervor. Ich ignorierte ihn, wusste er es doch selbst. „Antworte, Gott verdammt!“, hörte ich ihn schreien. „Es gibt keinen Gott, es gab nie einen, und es wird auch nie einen geben! Jedenfalls nicht für uns…“, schrie ich zurück. Da gaben seine Beine endgültig nach und er fiel auf die Knie, vergrub sein Gesicht in seine Hände. Sein Körper fing stark an zu zittern und seine Schreie hallten noch Minuten in dem uralten Höhlensystem wieder. Das war keine Verzweiflung mehr, dass war purer Zerfall. Alles erbebte: Mark, Bein, der feine Staub, selbst die Wände schienen zu vibrieren unter dem puren Schmerz eines liebenden Bruders.

Ich ließ ihn schreien, kein einziges Wort und keine einzige Geste hätten ihn beruhigen können. Gegen Schmerz gab es nur ein Mittel und dass war die Zeit. Er konnte nicht endlos so weiter schreien, irgendwann würden seine Stimmbänder nachgeben oder sein Bewusstsein. Unentschlossen zog ich mich zurück, bemerken tat er mich nicht und schließlich nach schier endlosen Minuten sollte ich recht behalten. Sein Schluchzen wurde leiser, seine Schreie kürzer und das Husten und Röcheln lauter bis er letztendlich ganz verstummte.

Dann Stille, weder ich noch er bewegten sich. Keiner von uns schien zu atmen, jeder von uns schien auf die Reaktion des anderen zu warten gespannt wie ein Flitzebogen. Auch nur ein falsches Wort und das Grauen würde von vorn beginnen. „Warum? Warum musste es ihn treffen?“, Amon rang nach Luft. Erschöpft und immer noch zitternd stemmte er sich hoch und drehte seinen Kopf schwach in meine Richtung. Sein Blick war leer und tot, ich erschauderte. „Hör zu“, fing ich an, „es gibt Dinge, die können selbst wir nicht verstehen.“, nun brach meine Stimme. Ich war immer noch angespannt, wie viel Zeit blieb mir noch ehe er eins und eins zusammenzählte und mich beschuldigte. Mein Sichtfeld verschwamm und ich presste die Augen zusammen, jetzt bloß nicht weinen. Nicht hier und nicht vor ihm, einer von uns musste einen kühlen Kopf bewahren. Zumal ich ihn wohl bald brauchen würde.

Anstatt mich meiner Trauer hinzugeben starrte ich wie gebannt auf den Boden, doch irgendwann gab mein Wille den Geist auf. Meine Beine wurden weich und ich glitt die Steinwand herunter dort kauerte ich mich zusammen. Das Einzige, was ich jetzt noch wollte war schlafen. Schlafen, schlafen schlafen. All das schlechte, all das Grauen der letzten Stunden vergessen, aber ich wusste es würde nicht funktionieren. Solche Dinge konnte und durfte man nicht vergessen…

Verträumt dachte ich an die Zeiten, als ich noch so etwas wie glücklich gewesen war. Niemand hatte auch nur eine Notiz von mir oder gar von meiner Familie genommen. Wir waren stinknormale Bauern gewesen, nicht besonders reich aber zufrieden. Es reichte zum Leben und es gab schlimmeres als auf dem Feld zu arbeiten. Selbst unser Lehnsherr war gütig gewesen vielmehr streng, aber gerecht. Ungern erinnerte ich mich an die Geschichten von den fahrenden Spielleuchten, ich hatte sie bis dato immer für Schauermärchen gehalten bis zu dem Tag an dem unsere Äcker abgebrannt wurden und ich mich inklusive meiner Eltern plötzlich auf der Flucht befanden. Erst dann fand ich heraus, was ich wirklich war und dass mein Leben nie wieder so sein würde wie vorher. An dem Tag der Flucht verlor ich nicht nur meine Eltern, nein ich verlor alles was ich bis dato kennengelernt hatte: Geschwister, Freunde, Verwandte, Nachbarn und meine Heimat.

Wie durch ein Wunder gelang es mir zu entkommen und wie das Schicksal es so wollte stieß ich auf Amon und seinen kleinen Bruder. Amon wollte mich zuerst verraten, sah dann aber ein dass ich recht nützlich war und behielt mich dann doch widerwillig. Schließlich konnte ich lesen, schreiben und dass was mir mein Vater sonst noch so gelehrt hatte. Wie dumm ich gewesen war, mich vorher nicht zu fragen weshalb ich über die Dinge nie mit anderen reden durfte. Wie dämlich von mir, dass ich dachte es sei normal Sachen zu bewegen ohne sie jemals berührt zu haben.

Wir zogen einige Zeit durch die Länder, möglichst bedacht darauf unentdeckt zu bleiben. Drei arme Waisen getarnt als Kinder von gewöhnlichen Schmieden, Bäckern oder Stallmännern. Eines Tages gelangten wir an den Rand des Tals, in dem die Stadt so friedlich lag. Unschuldig und fast noch unberührt. Es gab nirgendwo Anzeichen darauf, dass wir auch hier gejagt werden sollten. Es wurden weder Waffen verkauft noch hingen hier irgendwo Aushänge, die die Bewohner anstacheln sollten die Augen aufzuhalten. Selbst heute, selbst nach diesem Vorfall änderte sich weder das Verhalten noch das Äußere der mittlerweile nicht mehr ganz so winzigen Stadt. In dem Sinne war es sogar noch schlimmer als in den südlicheren Großstädten. Hier glichen die Aristokraten Schlangen, die nur darauf warteten dass sich jemand zeigte und dann wurde kurzer Prozess gemacht. Ohne Kommentar, ohne großes Aufsehen… Oder war der Geburtstag des Kaisers Schuld gewesen? Färbte der nationale Eifer auf den Charakter der Gesellschaft ab? Tief in meinem Inneren zweifelte ich, Menschen waren und blieben grausam ungeachtet der äußeren Umstände. Wie viele Menschen würden in den nächsten Tagen wohl anreisen? Hunderte, Tausende? Eine Hinrichtung unseresgleichen am Nationalfeiertag hatte man noch nie erlebt, es würde sicherlich ein großartiges Fest werden. Allein die Vorstellung jemandes Todes so ausgiebig zu feiern war einfach nur zu grausam um wahr zu sein.

Ich wollte gar nicht wissen, wie Amon sich fühlen müsste. Schließlich erlebte ich es zum ersten Mal, er nun zum dritten oder vierten? Ich war mir nicht mehr sicher wusste ich nur, dass er bereits seine gesamte Familie verloren hatte. Um ehrlich zu sein, war es noch nicht einmal wirklich wichtig. Für uns zählte nur die Gegenwart und der nächste Tag. Weiter trauten wir uns nicht zu denken, früher war es anders gewesen. Zumindest für mich bis ich eines nachts  von meinen Eltern wachgerüttelt und anschließend in einem Kartoffelsack auf einem Wagen verstaut worden war.

Mixtape der freudigen Gänsehaut

Da es nur noch eine gespaltene Knochenlänge von dem Fest des Gruselns entfernt ist dachte ich mir, ich bringe euch schon mal richtig in Stimmung. Die kleinen Geister, Fledermäuse, Skelette und anderes humanoides Getier will schließlich auch Spaß haben und selbst wenn ihr überhaupt kein Fan von Gänsehaut seid. Kein Problem ihr müsst das Fest gar nicht zelebrieren. Die Musik zu hören reicht schon und eine guten Rotwein oder Traubensaft trinken ebenso, geht als Blut durch ;)

 

Damit, dass schon einmal klar gestellt ist:

 

Was wäre Halloween ohne Menschen?

 

Wenn alles nur ein böser Traum sein soll:

 

Stellt euch bitte kleine Mädchen in Nachthemden langen schwarzen Haaren und leerem Blick vor, na Gänsehaut?

 

Ich bin mir sicher ich kann da noch eine Schippe drauflegen:

(mehr …)

„Willkommen in der Todeszone!“ – Tomp Raider #3

Wie ihr seht habe ich mich bemüht in die Tasten zu hauen. Allerdings ist aus dem ursprünglichen Teil 3 nun doch ein Teil 3 und 4 geworden. Dann ist aber auch Schluss. Ich verspreche es! Wer Lust hat hier und hier gehts zurück in die Vergangenheit…

 

 

„Sorry“

Ruckartig hob ich meinen Kopf. Blinzelte. War ich schon wieder eingeschlafen? Mein Kopf dröhnte, meine Augen brannten mit ihnen mein ganzer Körper. „Was?“ murmelte ich, und versuchte durch Zwinkern mein Blickfeld wieder scharf zu stellen, vergeblich. Etwas stimmte nicht, etwas fehlte. Warum sah ich trotz offener Augen alles unscharf? Eine Hand von hinten stupste mich an. Ich versuchte mich um zu drehen, wurde aber von etwas zurückgehalten. Was war denn nun los? Die Hand tippte mich noch einmal an. Langsam reichte es, mein abgeklungener Ärger kochte wieder auf, warum ich? „Kann man nicht eine Minute mal warten!“ , rief ich genervt. Abrupt hörte ich die Schiebetür aufgehen, dann schließen. Anschließend Stille. Resigniert schlug ich meinen Kopf gegen die Lehne. Wann war eigentlich mein letzter guter Tag gewesen? „Hey Blindfisch, deine Brille!“, kam es von weit her und dann hörte ich wieder Schiebetüren. Verdammt meine Brille.

„Es werde scharf…“ Gerade noch erhaschte ich einen Teil von Thomàs wild herumfuchtelnder Hand. „Sei froh, dass ich dich geweckt habe und keiner der anderen. Jetzt komm wir müssen los, dein Gepäck steht bereit, deine kaputte Brille liegt Pierre im Koffer und nein du musst dich nicht bedanken. Übrigens Karen fühlt sich schuldig wegen der Bremsensache. Verzeih ihr doch, ich kann sie nicht so traurig sehen.“. Meinen bösen Blick bekam er wohl nicht mehr mit, denn seine schnellen Schritte hallten auf einmal von allen Seiten in mein Ohr. Seit wann hatte der kiewer Bahnhof eine Tiefgarage? Meine Zehen zuckten. Anscheinend war nicht nur ich eingeschlafen sondern auch mein gesamter Körper. Draußen empfing mich eine noch erbarmungslosere Kälte, als am Flughafen. Meine gerade warm gewordene Gliedmaßen gefroren sofort. Selbst meine Haare schienen zu frieren, denn ich fühlte wie sie sich einzelnd und ganz langsam meinen Nacken hinauf krochen. Hätte ich doch bloß meine Mütze angezogen wie auch immer, es war zu spät. Ich war zu spät. Wenn ich einen Zahn zulegen würde, wäre ich eh gleich wieder im Warmen. Jedenfalls hoffte ich das. Wer wusste schon ob in den ukrainischen Zügen nicht auch Glas so zerspringfreudig war. Eilig griff nach meinen Habseligkeiten und folgte den Fußstapfen in Richtung Bahnhofsgebäude, eine winkende Person wies mir dazu den weg. Pierre hatte anscheinend keinen Problem mit der Kälte, denn er wartete geduldig vor der Bahnhofstür und schien mich aufmerksam zu bobachten. „Hey Miesepeter, bevor wir uns drei Monate lang ins Nirgendwo begeben schau dir doch zumindest mal die Fassade an…“ Er zeigte nach oben. wiederwillig folgte ich seinem Finger. Warum sollte ich jetzt in der Eiseskälte mir die architektonischen Wunderwerke einer sowjetischen Baugesellschaft anschauen? Es war selbst mich zu kalt. die durchschnittlichen -8 Grad waren schon lange passiert worden. Pierre musste wohl meinen Widerwillen spüren, denn er atmete leicht entnervt aus „Hey du bist hier der Zeichner, ich will dir doch nur mal zeigen, was du alles verweigern kannst. Bäume, Sträucher und Stahl kriegst du später noch genug.“ „Ich denke Eiszapfen und Licht genauso“ entgegnete ich ihm. „Mag sein, aber keine doppelten, mannshohen Fenster, und geschwungene Dächer. Schon gar nicht eine Prachtstraße wie die hinter dir, aber es ist deine Sache. Ich hebe dir die Bilder für später auf.“ Er verzog lächelnd die Mundwinkel, damit musste er seine Kamera meinen. Welche er wohl dabei hatte? „Ist dir denn gar nicht kalt?“, wechselte ich das Thema.“ Pierre schaute mich verwirrt: „Nein, mich wundert, dass du komplett verfroren aussiehst. Es ist gerade mal ein wenig unter null Grad. Wehe du wirst krank, ich habe keine Lust von einer einfachen Grippe hingerafft zu werden. So und jetzt komm“ , seine Stimme klang zusehend drängender, „Die Anderen warten nicht, auch nicht auf einen zweiten Monet wie dich.“ Er packte meine Hand und zog mich in Richtung der Gleise. „Was ist eigentlich zwischen dir und Karen los, hm? Thomàs hat dich so merkwürdig angeschaut im Bus“ „Dicht du auch noch.“, ich verzog das Gesicht zu einer Fratze. Pierre fing an zu lachen. „Ach ich verstehe, kompliziert wie immer. Ach Junge hab ich dich vermisst.“ Kaum hatte er das ausgesprochen bekam ich einen freundlichen Nackenklatscher. Reflexartig zog ich die Schultern hoch. „Lass das“ rief ich gespielt genervt aus und rannte dem bereits fliehenden riesen Rucksack hinterher. „Sieh an die zwei Kleinkinder Kommen auch schon. Schön, dass wir mit euch fahren.“ Pierre streckte bloß Karen die Zunge heraus. Ich schaute weg, Kein Angriffsfläche mehr zeigen ermahnte ich mich. Vielleicht ließ sie mich dann einfach in Ruhe, falls Thomàs Vermutungen stimmten, was ich immer noch nicht glauben wollte. „Ich hoffe mal keiner hat geplant die Bremsen vom Zug aus zu testen“ scherzte ich. Ich erntete nur einen bösen Blick von Thomàs: „Irgendwie hatte ich vergessen wie nachtragend du warst…“, antwortete er achselzuckend. „Aber wer weiß? Vielleicht ist mein Onkel ja dieses mal der Fahrer der Bahn. Wäre der Einzige, der dass noch könnte.“ Er lachte. Ich wandte mich von ihm ab, er war zwar nur noch angetrunken und nicht mehr betrunken, aber so ganz verstand der meinen Ärger immer noch nicht. Nach einigen Minuten Schweigens aller Mitreisenden fing ich an unsere Gruppe zu beobachten. Neben Thomas, Karen, Pierre und mir standen noch drei andere Personen mit uns zusammen. Ich erinnerte mich dunkel, in dem Schreiben hatte etwas von Forscher, Übersetzer und zwei Fotographen gestanden, also musste einer von ihnen Pieres Kollege sein. Wer wohl? Die zwei Großen oder der Kleinere mit dem aschblondem Haar und dem hagerem Gesicht? Ein leises Dröhnen durchzuckte plötzlich regelmäßig meinen Kopf. „Zug kommt“ murmelte ich und drehte mich in Fahrtrichtung. Der Mann neben Karen holte etwas aus seinem Rucksack. Die Tickets weder Kamera noch Behältnisse für Forschungsmaterial, blieb nur noch der Übersetzer.

„Na mal schauen wie langsam die Langsamkeit wirklich ist…“ murmelte Thomàs eher griesgrämig als gut gelaunt und trat an die Bahnsteigskante. Noch so eine Macke von ihm, wenn er ausnüchterte waren die Stimmungsausschläge ungefähr so groß wie die eines Seismographen bei einer Stärke von 7,0. Diesen Punkt auf der Skala hätte allerdings auch das Dröhnen erreicht, was mittlerweile eher einem lauten Kreischen ähnelte. Der Blonde rief etwas, doch sah ich nur, dass sich seine Lippen bewegten. Der Fahrtwind und das Bremsen der riesigen Diesellok verschluckte jedes andere Geräusch im Umkreis von mehreren hundert Metern. Sobald die Wagons standen, wobei vorher der Bremsvorgang seinen Zenit erreichte, drückte Thomàs sich gegen die schwere der Tür, die zweite Frau rannte auf einen Bahnangestellten zu, der gerade aus auf die Kante herausgetreten war. Aufgeregt gestikulierten redete sie auf ihn ein und ich beobachtete wie er nur ab und an nicken konnte. Nach einigen Minuten so schien es, drehte sie sich um, nickte höflich und kam lächelnd auf uns zu, dann hielt sie ihren Daumen hoch. Koffer für Koffer wanderte nun in das extra Abteil für Sperrgepäck und Fahrräder. „Ich wusste nicht, dass wir selbst mit Anhänger und Dach so viel Stauraum hatten“ Karen schaute ungläubig auf die verschieden Gepäckstücke. „Fühlt diese herrliche Beinfreiheit!“ tönte es überrascht aus dem Nachbarwagon. Pierre hatte anscheinend sich dazu entschieden uns nicht mehr zu helfen. Der kleinere Blondschopf lachte leise im Gegensatz zu der jungen Frau, die starrte uns beiden nur böse an und antwortete grimmig. Doch außer „sofort“ verstand ich nur zusammenhanglose Wörter, die für mich nicht den geringsten Sinn ergaben. Karen nickte nur müde neben mir, denn sie ahnte wohl worauf dieses Gespräch hinaus laufen würde. Wir sollten alleine die Gepäckstücke tragen, zwar nur die 5 meterlange Strecke, dennoch genug um gute 60 Minuten später mit schmerzendem Rücken in die Sitze neben Pierre zu fallen, der inzwischen nicht nur tief schlief sondern auch unglaublich enthusiastisch den südamerikanischen Regenwald abholzte. „Wenn jetzt Greenpeace hier wäre, die würden ihn garantiert wegen illegaler Rodung einbuchten lassen“, witzelte Thomàs und öffnete eine weitere Bierflasche. Wollt ihr? Ich schüttelte den Kopf. „Nicht mal ein Versöhnungsbier nimmst du an?“ „Hör mal Leif es tut mir wirklich Leid…“, setzte Karen an, aber ich ignorierte sie. „Ich trinke nicht.“ „Du meinst du trinkst nicht mehr“ ergänzte Thomàs gereizt. „Wie auch immer du das siehst.“ Damit drehte ich mich in Richtung Fenster zog meine Kapuze über meinen Kopf und bewegte mich darauf hin nicht mehr. Ich spürte wie Karen und Thomàs mich noch eine Weile mit Blicken taxierten, doch irgendwann verloren sie das Interesse und schlichen sich leise zu unseren Kollegen um sich ihrem lautstarken Kartenspiel anzuschließen. Sobald ich sicher gehen konnte, dass sie endgültig verschwunden waren, drehte ich mich zurück in Richtung Gang. Die Sitzreihen neben mir waren leer, ebenso wie die Abteile dahinter und davor. Vermutlich war der gesamte Zug menschenleer, außer ein paar wenige Pendler die nach Hause übers Wochenende zu ihren Familien mussten, hoffentlich. Es war überhaupt ein Wunder, dass wir diesen Zug bekommen hatten. An sich existierte dieser noch nicht einmal. Eine Art illegale Linie für die unglücklichen Heimischen in der nähe Tschernobyls.

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