Flucht

11. Türchen:

55. “Die Heimat liegt nun hinter euch- vor euch die Welt.“ -Der Hobbit/ Teil 7

Ich trat einen Schritt zurück dann noch einen. „Dann… Danke“ hörte ich meine Schwester sagen. Jack nickte ihr zu, irgendwie sah er jetzt verdammt alt aus. Fast hätte ich Mitleid bekommen, aber nur fast. „Das mit deinem Auge tut mir übrigens Leid“, setzte sie nach. Gespannt beobachtete ich ihn, auf seine angespannten Kiefer nach zu urteilen wollte er wohl etwas sagen beließ es aber beim Schweigen. Nur die Mundwinkel verzogen sich…

Dann wandte er sich zu mir und starrte mich an. „Pass auf… sie auf…“, war das Einzige was er herausbrachte. Als Antwort nickte ich knapp, irgendetwas sagte mir dass das noch lange nicht alles gewesen war nur war nachfragen quasi vergeblich, dass hatte ich inzwischen gelernt. Auf einen weiteren Streit war ich nach dem Sprung ebenfalls nicht aus. Diese Erfahrung saß mir noch zu tief in den Knochen. „Lass uns gehen“, meinte ich mich beim wegdrehen und lief in Richtung wohin der schwarze Pfeil zeigte. Zu erst zögerte meine Schwester, doch dann hörte ich ihre eiligen Schritte hinter mir. „Du bist echt verdammt ungehobelt“, bemerkte sie spitz. „Sagte die, die regelmäßig die Wärter beschimpfte. „Dass ist etwas völlig anderes“, beschwerte sie sich lautstark und schaute mich gespielt beleidigt an. Wir lachten beide, dass erste Mal seit Wochen wenn nicht sogar Jahren. So genau wusste ich es nicht, letztendlich war es sogar einerlei. Unbeschwertheit war wohl das Gefühl was wir gerade erfuhren. Zugeben nicht der schlechteste Teil vom Brot.

Wir beide waren auf dem Weg in eine zwar ungewisse aber definitiv besser Zukunft. Plötzlich viel mir abermals die Aufschrift des Schildes ein: “Die Heimat liegt nun hinter euch- vor euch die Welt.“ so ganz passte es nicht zu uns. Vielmehr lag die Welt hinter uns, eine schreckliche Welt voller Hass und Ungerechtigkeit und vor uns, vor uns lag die hoffentlich goldene Heimat. Irgendwie verdammt kitschig. Freiheit war unbezahlbar. Vielleicht gab es deshalb solche Menschen wie Jack… Apropos meine Schwester stupste mich an und sah ernst zu mir hoch. „Es gibt hier in Deutschland nicht wirklich einen Milchmann oder?“. Ihr Stimme sagte mir, dass sie die Antwort bereits kannte. Es nützte also nichts ihr irgendetwas vorzuspielen. Langsam schüttelte ich den Kopf. „Nein, gibt es nicht. Tu mir Leid.“ Sie nickte ernst, dann lächelte sie gequält. „Man muss nicht immer alles verstehen…“, murmelte ich dazu und dann „Mach dir keine Sorgen es ist eine Hauptstraße es wird schon jemand kommen…“

Sie schien nicht wirklich erfreut, es war aber auch ein schwacher Trost für sie, das musste ich zugeben. Eine Weile schwiegen wir, dann wie aus dem Nichts rief sie: „Wer als erstes an der Post ist hat gewonnen!“ und sprintete sich zu mir umdrehend davon.

Ende

10. Türchen:

55. “Die Heimat liegt nun hinter euch- vor euch die Welt.“ -Der Hobbit/ Teil 6

Zögernd drehte ich mich in Richtung Jack, der kniete mittlerweile fast aufrecht sich auf einen Arm stützend. Der Rest allerdings sah ziemlich ungesund aus. Ganz langsam machte ich einen Schritt in seine Richtung, sollte ich ihm helfen? Wobei… Auf halbem Weg entschied ich mich anders und folgte statt dessen meiner schon fast verschwunden Schwester. Wenn er wollte würde er uns finden. Wie immer…

Sie einzuholen war ein hartes Stück Arbeit wie ich schnell feststellen musste. Ich hoffte sie kannte den Weg, denn so schnell wie sie voran lief würden wir einige Meter aufholen müssen, falls ihr ein Irrtum unterlaufen würde. Warum war sie allerdings sauer auf mich? Hatte ich ihr irgendetwas getan? Nein, sie war die Einzige gewesen, die offenbar sogar noch einigermaßen weich gelandet war. Der Sprung war doch glatter Selbstmord gewesen und hätte sich Jack nicht verletzt hätte er unsere Landung garantiert dazu genutzt um uns auszurauben. Wenn man vom Teufel sprach, wo steckte er überhaupt? Langsam drehte ich meinen Kopf, mit dem Ergebnis das der Schmerz nachließ. Bei Jack sah es wohl anders aus, er befand sich zwar gerade mal mehrere Meter hinter mir nur war mein Zustand wohl nicht vergleichbar mit seinem.  Wobei ich wohl das Ass gezogen hatte und er die Arschkarte. Stark humpelnd, den Arm in einer Schlinge, gebaut aus seinem Mantel sowie den Kopf zum Boden gerichtet, bahnte er sich seinen Weg. „Geh einfach weiter, brauchst keine Rücksicht nehmen“, zischte er im Vorbeigehen.

Entnervt schaute ich ihm eine Weile zu, ihn zu überholen würde mich vielleicht einige Sekunden kosten. Das war die Rache für alles, war er im Zug getan hatte. Normalerweise glaubte ich nicht an Karma, aber es gab wohl doch so etwas ähnliches. Auf Abstand erpicht schlich ich durch das niedrige Unterholz hinter ihm her. Sollte er mir doch eine Schneise bauen. Ich würde mich garantiert nicht abrackern, schon gar nicht für ihn. In weiteren Gedanken versunken setzte ich meinen Weg durch den Wald fort. Dummerweise bemerkte ich den stehen gebliebenen Jack zu spät, denn ich rannte geradewegs in ihn hinein. Das allein war schon schlimm genug nur war er anscheinend so geschwächt dass er nach vorne fiel und markerschütternd aufschrie. Jetzt erschrak ich, was hatte ich getan. Wehe ich müsste ihm helfen. Hilfesuchend schaute ich nach vorne gerade noch so sah ich den Rucksack meiner Schwester hinter einer Gruppe von Bäumen verschwinden…

mehr als „Hilfe“ bracht ich nicht heraus. Inzwischen bewegte sich Jack nicht mehr. Widerwillig stupste ich ihn mit meinem Fuß an. Beweg dich, komm schon… dachte ich nur. Nichts. „Sehe ich so aus als könnte ich irgendwie aufstehen…?“ kam die prompte Antwort. Ich schluckte. „Was hast du angestellt?“ Ich zuckte erschrocken zusammen, Schwesterlein war so leise zurück gekommen das ich sie nicht bemerkt hatte. „Dein Bruderherz will mich umbringen..“ scherzte er eher halbherzig. Nur merkte man dass selbst reden ihm schwer fiel. „Scheiße!“, stieß meine Schwester lediglich aus. „Helfen wolltest du ihm anscheinend nicht?!“, fauchte mich meine Schwester an. „Ich wusste nicht wie“…, gestand ich aufrichtig. Alleine hätte ich ihn nicht heben können. „Du auf die eine Seite ich auf die andere. Auf drei“, ordnete sie an. „Ähm warte- “ setzte ich an, doch da stemmte sie ihn bereits hoch und machte mir mit einer Kopfbewegung klipp und klar zu verstehen, dass ich jetzt nicht widersprechen wollte. Wortlos folgte ich ihrem Beispiel. Mit einem Ächtzen unsererseits und einem kurzen Knurren Jack´s hievten wir ihn wieder auf seine zwei Füße. Nun gestaltete sich das nächste Problem. So wie er zitterte konnte er nicht lange so weiter gehen. „Wie weit ist es eigentlich noch?“, fragte ich hoffnungsvoll… „Vi-le Kilo-meter“ , stieß Jack zwischen Atemstößen hervor. „Na dann los, je schneller wir dort sind desto schneller kann man dir helfen.“ Er zog die Nase kraus, ähnlich tat ich es. Freude sah anders aus. „Und je schneller seid ihr euch los. Also reißt euch zusammen.“, ergänzte sie. Zähneknirschend setzte ich mich in Bewegung. An ihrer Argumentation war etwas dran, dass konnte ich nicht widerlegen. Der Rest des Weges schwiegen wir, weder ich noch Jack murrten. Ich trug ihn mit der Zeit immer mehr allein da meine Schwester derweil uns den Weg bahnte und er selbst versuchte so wenig meine Hilfe zu beanspruchen wie es ihm möglich war. Ich merkte wie es ihn wurmte doch ging ich nicht drauf ein… Zu erschöpft war ich von den letzen Stunden gewesen. Mein Körper schmerzte immer noch und meine Laune war nicht mehr vorhanden. Ich kam mir vor wie ein Zombie. Für mich stand folgendes fest. Ich würde alles dafür tun nicht so zu enden. „Du hattest recht“, meinte ich nur. “Dein Leben ist beschießen, ich will ins Bett oder sterben. Jetzt “ Letzteres war eher sarkastisch gewesen, nur lachte keiner von uns beiden. Mein Schwester bemerkte es wohl nicht oder ignorierte es gekonnt. „Erfrieren…. ist nicht der schlech-teste Tod… Hättest mi-ch auch dort lie-gen lassen kön…nen“ nuschelte er zurück. „Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?“ ,verärgert stoppten meine Beine. Was tat ich hier eigentlich? Ich unterhielt mich mit dem größten Schwachkopf der Welt während ich ihn mittlerweile trug, fast wie einen Kartoffelsack über der Schulter. Schmerz verband wohl, denn nach den ersten Kilometern war mir alles gleichgültig. „Und?“, mittlerweile musste ich zugeben irgendwie interessierte mich die Antwort. Bloßes Schulterzucken. „Ungestraft… kom-mst du mir nicht… davon…“, murmelt er wieder. An seiner Reaktion bemerkte ich, dass es wohl höchste Eisenbahn war. Eiliger als vorher setzte ich meinen Gang fort. In welche Stadt hatte uns Jack wohl gebracht. Wahrscheinlich in eine ebenso kleine wie unsere Heimat. Erst jetzt bemerkte ich, dass sich so langsam die Bäume lichteten. So kam nicht nur mein Familienmitglied ins Blickfeld sondern ebenso ein sehr großes und unübersehbares Straßenschild. Ich kniff die Augen zusammen, der Schweiß der letzen Stunden hatten meine Wimpern komplett verklebt. Nur was ich definitiv erkannte war das fetteste Grinsen meiner Schwester, was ich je gesehen hatte. Die letzten Meter fing ich an zu rennen, Jack auf dem Rücken war mir egal, außerdem erfolgte keinen Widerstand von ihm, sodass ich die letzen Schritte quasi sprintete. Widerstand leistete er zumindest nicht. Jetzt wollte ich es erst recht wissen. Sobald ich die Schrift einigermaßen entziffern konnte verlangsamte ich meinen Tritt und erstarrte: Rahnsdorf- Berlin.

„Berlin?!“ völlig außer Atmen sowie fassungslos, blieb ich stehen und ließ Jack los.  Wir waren in Berlin?! Berlin? Das hieß: wir hatten Polen in gut einem Tag durchquert und wir waren in Deutschland. Ich konnte es kaum fassen. „Bist du verrückt geworden?“, konstatiert drehte ich mich um und schaute zu Boden. Jack lag noch genauso da wie wohl gefallen, aber er lachte. Der Typ lachte mich an. „Wir können noch nicht einmal Deutsch!“, stieß ich weiter aus.

Wie sollten wir hier leben? „Berlin“, flüsterte ich immer noch fassungslos. Mindestens fünf einmal hintereinander. Das war unglaublich. Nur dann gefror mir das Blut in den Adern. „Äh… was ist mit unseren Papieren?“  „Liegen bei der Post…“, kam die Information von hinten. „Hinterlegt auf eure Namen…“ „Unseren echten?“, fragte ich misstrauisch nach. Jacks Stimme gewann wieder an Festigkeit „Nein, auf Weihnachtsmann und Elfe“, er verdrehte die Augen.

„Und was ist mit dir?“, hakte meine Schwester nach. „Er meinte wir könnten ihn hier liegen lassen, eigentlich hätten wir dass schon im Wald tun sollen.“, meinte ich mehr sarkastisch. Doch Jack schien die Idee wohl gar nicht so schlecht zu finden. „Ich sollte euch in die Stadt bringen, dass habe ich hiermit getan. Ab jetzt seid ihr auf euch allein gestellt.“, warf Jack ein.

„Dein Ernst?! Das können wir nicht machen…“, hielt meine Schwester dagegen. „Du kannst kaum laufen!“ Bei den Worten lachte Jack. „Der Milchmann dreht abends hier seine Runden, in zwei Stunden sammelt er mich auf…. Es wäre auch für euch nicht förderlich mit mir gesehen zu werden.“ „Dann setzt dich zumindest an den Rand“, forderte meine Schwester mit hochgezogener Braue – wirklich glauben wollte sie ihm nicht… Schnaubend drehte sich Jack auf den Rücken. Anschließend schob er sich mit dem einen Bein nach hinten gen Straßenschild und lehnte sich dagegen. „Genehm? Jetzt verwindet.“, leicht entnervt schaute er uns zwei an. Ich völlig durchgefroren sowie verschwitzt und verdreckt mit Erde oder Essensresten. Meine Schwester voller Laub und klitschnassen Hosenbeinen durch den durchgeweichten Boden.

9. Türchen:

55. “Die Heimat liegt nun hinter euch- vor euch die Welt.“ -Der Hobbit/ Teil 5

So nah hatte ich ihn ungern, denn anscheinend hatte Herr Grisgram die Dunkelheit satt und saß uns nun gegenüber in voll aufgedrehtem Lichtkegel. „Eine gute Erziehung hätte dir vielleicht auch ganz gut getan“, setze ich hinzu und merkte sofort, dass ich mich mal wieder im Ton vergriffen hatte. Dieses Mal allerdings nicht an Jacks Reaktion sondern an dem Gefühl des starren Blicks meiner Schwester. Nur noch der Blick des Oberwachtmeisters war schlimmer. Wobei mir dort eher vor den Folgen gegraut hatte. Nicht vor ihm selbst. Er selbst war bloß ein griesgrämiges, kleinwüchsiges, viel zu dickes Wichtlein gewesen. Eine weitere Marionette des hierarchischen Systems der Regierung.

Ich sah wieder hoch und diesmal ihm fest in die Augen und starrte, er starrte zurück. Seine Augen waren fast schwarz, aber dass lag vermutlich eher an seiner Kapuze als an seinen.… Zigaretten.

Plötzlich wandte er sich ab, stand ruckartig auf riss uns das Blech aus der Hand und packte die leeren Dosen zurück in die Kiste. Weshalb er die leeren Konserven wieder dorthin zurück packte verstand ich nicht. Sie würden den Unterschied sowie so beim Ausladen bemerken. Anschließend machte er sich am Schloss zu schaffen, ähnlich wie meine Schwester bis vor einigen Stunden. Dann mit einem Ruck schob er die Tür zur Seite und in der Sekunde pfiff uns der Fahrtwind um die Ohren und ein ohrenbetäubendes Kreischen der drehenden Räder über den Schienen erklang. „Alé hopp raus mit euch!“, rief Jack und machte den Spalt noch größer. Mein einziges Familienmitglied regte sich als erstes und kroch auf allen vieren auf die Tür zu. „Wenn der Zug anfängt zu bremsen“, erwiderte sie und streckte misstrauisch den Kopf nach vorn sodass sie kurz vor Wagonkante nach draußen spähen konnte. Ich krabbelte ebenso lächerlich auf ihre Höhe. Sich hinzustellen ohne Hilfe wäre aber unmöglich. „Willst du uns Tod sehen?“, für ihn wäre es das reinste Fest. Essen, Trinken, Kleider alles im Rucksack mit dabei. Nebenbei die Leichen zweier entlaufender Kinder interessierte die Gesellschaft reichlich wenig.

„Da vorne kommt ein kurzer Acker, dort abspringen“, rief Jack über den Fahrtwind weg. Ich schob den Kiefer vor, nein nicht mit mir ich würde nicht springen. Garantiert nicht, ich war doch nicht völlig dumm. Meine Schwester sah das wohl anders, denn sie grinste wie ein Honigkuchenpferd. Furchtlos war ihr zweiter Vorname. Sprichwörtlich.

Auf einmal fiel mir die nächtliche Begegnung mit dem Schild ein, wenn ich schon gemeuchelt werden sollte wollte ich zumindest Gewissheit haben mich nicht getäuscht zu haben. Doch nun im Tageslicht sah ich nichts, gar nichts. Nichts außer Kisten und leere Holzwände. Gruselig, ich erschauderte. Offenbar war ich wohl gestern etwas neben mir gewesen. Stichwort: Zigarette.

Gerade als ich meine Bedenken gegenüber meiner Schwester diesbezüglich meiner Falltheorie unterbreiten konnte rauschte das Ende des Geröllhanges an uns vorbei und die dahinsausenden braunen Schlieren des Ackers erschienen unter uns. Dann bevor ich meiner Schwester am Arm festhalten konnte sprang sie auf ihre Füße und dann nach vorn. Sobald sie den Wagon verlassen hatte verschwand sie aus meinem Blickfeld und ward nie mehr gesehen. „Junge spring!“, schrie Jack. „Vergiss es“, schrie ich zurück. Lieber ließ ich mich verhaften oder rannte abermals drei wenn nötig sieben Kilometer vor der Bahnhofswache weg als bei gefühlten 100km/h aus dem Zug zu springen. Eiskalt, wich ich mehrere Schritt zurück, immer noch auf allen vieren. „Du Vollpfosten, jetzt spring!“, fluchte Jack noch lauter. „Spring du doch zuerst“ brüllte ich zurück. „Spring doch einfach du Dummkopf!“ keifte er jetzr. Ich schaute nach vorn aus dem Wagon heraus. Dort vorne endete der Acker und die Steine setzten sich weiter fort, wenn ich es bis dorthin durchhielt ihm stand zu halten könnte ich mich retten. Schade um meine Schwester…. Wütend über ihre Naivität seiner Abgebrühtheit wich ich noch einen weiteren Schritt ins Innere zurück und schüttelte energischst den Kopf. Ich sah gerade noch wie er aufstöhnte, dann ging alles ganz schnell er schnellte zu mir packte mich an der Schulter und riss mich von den Füßen um mich dann verdammt grob nach vorn zu stoßen. Völlig überrascht sah ich den Wagon an mir vorüber ziehen und dann wie in Zeitlupe den immer näher kommenden Boden. Was hatte Jack getan?! Mir wurde bewusst egal wie sehr ich mich versuchte abzufangen, die Zeitspanne bis zum Aufprall wäre zu kurz und damit kam der Schmerz und die Schwärze.

Nur blieb der Schmerz nicht am Hinterkopf sondern konzentrierte sich hauptsächlich auf meine linke Gesichtshälfte insbesondere Wange. „Du Schwachkopf“, drang es zu mir hindurch und der Schmerz potenzierte sich. Reflexartig rissen sich meine Augen quasi von selbst auf und sahen geradewegs in ein anderes nur hasserfüllteres Paar Augen.. „Hör auf, er ist wach!“, hörte ich eine drohende Stimme vor mir. Dann folgte nochmal ein Schmerz, schlimmer als beide Male zuvor. Erneutes aufschreien meinerseits. Meine Wange war kurz vorm explodieren. „Ich sagte stopp“, kam es wieder von weiter weg. Erfolglos versuchte ich den Kopf zu drehen, mehr als wackeln war im Moment noch nicht drin. Was war, wenn ich nun gelähmt war? Nein, dass konnte nicht sein. Nicht mit den Ganzkörperschmerzen. Dann, ohne großartig etwas getan zu haben, erklang ein weiterer Schmerzensschrei nur war es diesmal nicht meiner. Bei dem Gedanken das es Jack getroffen haben musste verzogen sich meine Mundwinkel. Ob wir wohl nah genug am Bahnhof waren, dass uns sämtliche Einwohner hörten. Vermutlich dachten sie ein paar Wilde würden sich gegenseitig abstechen. Zu neugierig um still zu halten presste ich ganz fest die Zähne aufeinander und drehte den Kopf. Nach den ersten Sekunden verging der Schmerz. Glück gehabt, zumindest schien nichts gebrochen. Glücklicherweise barg der Acker keinen einzigen Grashalm und so sah ich gerade noch wie meine Schwester die Hand zurück zog und Jack zu Boden stürzt und liegen blieb. Stöhnend. Irgendwie sah das Bild schon skurril aus ein schwarzer Hüne am Boden und ein kleines Mädchen sich über ihn beugend und böse anstarrend. „Ich sagte nur bis er wach ist! Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen. Dann sprang sie über ihn hin und marschierte geradewegs auf mich zu, amüsiert sah sie allerdings nicht aus. Ihre Schritte dröhnten in meinen Ohren. „Aua…“, jammerte ich. Mir tat nun nicht mehr alles weh sondern langsam gefroren mir meine Beine. Der Ackerboden war eiskalt.  „Und du,“ meine Schwester zeigte direkt zwischen meine Augen und stand direkt über meinem Kopf. „…bist wirklich der dümmste Mensch auf Erden. Sei froh, dass Jack überlebt hat sonst hätten wir jetzt eine Leiche am Start, Bruderherz. Er wusste was er tat. Er will uns helfen okay?!“ „Du hast mir gar nichts zu sagen…“ zischte ich ihr entgegen und drehte beleidigt den Kopf in die andere Richtung. Hätte ich das bloß nicht getan, ein abermaliger Schmerz durchzuckte meinen Nacken. Erst dann viel mir auf wie nah ich eigentlich am Geröllhang lag. Innerlich seufzte ich erleichtert auf, dass nannte ich gutes Timing. Nur… für mich war noch genug Platz gewesen für Jack war es wohl knapp gewesen oder zu knapp. Automatisch schielte ich wieder nach links. Meine Schwester stand immer noch in derselben Position wie eben und starrte mich ebenso steinern an.

„So, jetzt reißt du dich gefälligst zusammen und stehst auf. Ich weiß nämlich nicht wie du das siehst, aber ich will noch vor Abend in der Stadt sein“, mit diesen Worten stieg sie achtlos über mich hinweg verpasste mir wohl versehentlich noch einen Tritt in die Seite und stapfte gen Horizont. „Hey“, rief ich ihr hinterher, aber sie stapfte knallhart weiter. Ächzend richtete ich mich auf, mein Körper brannte noch immer überall. Vor allem meine linke Gesichtshälfte…

8. Türchen:

55. “Die Heimat liegt nun hinter euch- vor euch die Welt.“ -Der Hobbit/ Teil 4

Ich starrte geradewegs ins schwarze. „Halt die Fresse“, entgegnete ich und rechnete mir noch mal aus wie viel Mühe es mich kosten würde ihn dieses mal zu überrumpeln. Aber ich vermutete wir beide wussten, dass ich außer fluchen heute wohl kaum noch etwas schaffen würde. Plötzlich merkte ich einen Lufthauch und bevor ich ausweichen konnte traf mich etwas schweres an der Brust, erschrocken zog ich die Luft ein. Das Glühen begann auf und ab zu hüpfen. Etwas sagte mir, dass sich dort jemand gerade köstlich amüsierte. „Idiot“ und pfefferte das Geschoß sofort zurück. Dank der Form wusste ich, dass es eine dieser Konservendosen aus der Kiste war.

„Iss was, dein Magenknurren hält ja keiner aus.“ kam es als Antwort und dieses Mal kam etwas angegrollt und stieß an meine Fuß.

Ich bewegte mich keinen Zentimeter vorwärts. Statt dessen begann ich zu husten. Und dieser begann langsam aber merklich sich auszubreiten. „Du willst uns wirklich umbringen“, hustete ich gerade heraus. „Genau und deshalb geb’ ich mir die Mühe was anderes zu beschaffen als das Zeug hier…“ damit deutete er mit dem Restglühen der Zigarette in Richtung Kiste.  Beschwer dich nicht und iss.“ „Komm schon, ist nicht giftig, macht satt, ist auch kein Fleisch…“ „Gebackene Fliegenpilze oder was?“ entgegnete ich in die Dunkelheit. „So in etwa.“ und damit begleitetet von einem erneuten aufflammen. Ich murrte, aber meine Magenschmerzen waren zu groß und ich griff nach dem runden etwas und riss sie auf. Etwas schwappte über den Rand und ergoß sich übe meinen Ärmel und Teil meins Hosenbeins. „Verdammt“, fluchte ich leise, gleichzeitig sah ich das Glühen wippen. Dabei blieb es allerdings und ich machte mich still und leise über den Inhalt her, der sich als kalte Ravioli herausstellte. Besser als nichts und um Längen deliziöser besser als Spam. Sehr viel magenfreundlicher. Nach kurzer Zeit war die Dose ratzeputz leer und wenn Licht geschienen hätte hätte man sie als Nagel neu ausgeben können.

„Genau deshalb wäre ich geblieben…“ , kam es erstaunt aus der Stille. Das glühen war erloschen, sodass ich mittlerweile überhaupt keinen optischen Anhaltspunkt mehr hatte. Er allerdings auch nicht, wenn ich ganz leise wäre könnte ich vielleicht vorgeben zu schlafen. „Wenn es nicht klappt sitzt ihr auf der Straße… kam es weiter. Verärgert stöhnte ich auf, konnte er nicht einfach mal seine Klappe halten?!

„So wie du?“ ich kniff die Lippen zusammen, Mist wie war das mit dem schlafen stellen. aber ich war neugierig geworden. Worauf wollte er hinaus. Ja genau, wie ich sag ja: Essen, Trinken und ein warmes Dach über dem Kopf. „Nach drei Tagen Freiluftschlafen wimmert ihr nur so danach….  Die Welt dort draußen schütz leider keinen mehr vor Seife. Passiert leider sogar mehr Menschen als man denkt“, fügte er hinzu und dann schwieg er. In mir zog sich wieder etwas zusammen, war ja klar, dass er jetzt darauf herumreiten würde. Wenn da noch etwas kommen würde war ich bereit ihm die Dose gegen den Kopf zu knallen, doch Pustekuchen. Nur ein kleiner roter Lichtschein glomm auf ungeachtet dessen tat sich immer noch nichts und nach einigen Minuten signalisierten mir meine Geruchszellen, dass es dieses Mal keine normale Zigarette war.

Die Unterhaltung war damit offensichtlich beendet und ich eingeräuchert. Erleichtert lehnte ich mich zurück, jetzt hieß es hoffentlich nur noch warten. Die einschläfernden Geräusche wie das Rattern und das leichte Schaukeln erreichten auch bei mir ihre Wirkung und ich dämmerte langsam weg, Kurz bevor ich endgültig weg war erkannte ich durch den schmalen Spalt meiner Wimpern ein schief hängendes Schild. Merkwürdig, es war doch dunkel. Schlief ich etwa schon? Ich schloss die Augen weiter bis sich auf dem Schild mehrere Wörter begannen zu formen. “Die Heimat liegt nun hinter euch- vor euch die Welt.“ Was sollte dass denn heißen? Mit dieser Frage im Kopf glitt ich hinweg.

Ich träumte ich stünde auf einer riesigen Kreuzung inmitten von monumentalen Häuserschluchten. Um mich herum eilten die Menschenmassen hin und her wie Bienen in ihrem Stock. Keiner beachtete den anderen, jeder schien in seiner eigenen Welt gefangen zu sein. Meine Schwester oder Jack waren dagegen nirgends zu sehen.  Ich erblickte einen riesigen, gräulichen Turm. Ein so hohes Bauwerk hatte ich noch nie gesehen. Dass er nicht schon zusammen gebrochen war erstaunte mich. Er schien förmlich an den Wolken zu kratzen… Die durchstochene Kugel an der Spitzte des Turmes glitzerte im Sonnenlicht.

„Hey, aufwachen Träumer!“, hörte ich jemanden rufen. Steine Stimme klang dumpf wie durch eine dicke Glasscheibe „Wir sind bald da, Faulpelz“, ertönte eine andere und damit wurde ich mit einem Ruck auf die Füße geholt. Noch ganz benommen blinzelte ich, nur gab es nicht all zu viel weg= zublinzeln, denn in dem Wagon herrschte immer noch dasselbe Schummerlicht wie vorher. Dennoch erkannte ich meine Schwester, die mir gegenüber auf den Kisten saß und offenbar frühstückte. Denn es roch abermals stark nach Dosenobst. Ich grummelte, ich fühlte mich wie überfahren kurz gestreckt und mein Kreuz knackte wie trockenes Holz. Hätte ich beim Recken und Strecken nicht die Augen geschlossen, hätte ich die anfliegende Dose sicherlich noch rechtzeitig bemerken können nur war mir mein Schicksal wohl auch heute nicht froh gesonnen und so erwischte es mich mit einer gewaltigen Ladung Kopfschmerzen. „Seid ihr noch ganz bei Verstand“ schrie ich reflexartig auf und hielt mir den Kopf. Zumindest fühlte ich kein Blut. Glück gehabt. „Wer fangen kann ist klar im Vorteil“ ertönte es aus der Dunkelheit womit klar war, dass der Werfer nicht meine Schwester gewesen sein konnte.

„Ach ja, und falls der junge Prinz Besteck einfordert muss er sich leider mit seinen Händen begnügen, das ist nämlich aus“. Mit diesen Worten hörte ich eine weitere Dose klacken und es dämmerte mir, wer die letzte geschmuggelte Gabel bekommen hatte. Zwar immer noch beleidigt wegen gestern, aber nicht allzu erpicht auf weitere Angriffe vom morgendlichen Miesepeter wechselte ich die Seite und schlich zu meiner Schwester. „Meine Gabel kriegste aber nicht, erst wenn ich fertig bin..“, murrte sie. „Scheiß auf die Gabel, ich bin froh wenn ich hier lebend rauskomme“, flüsterte ich zurück.  „Das stimmt, er ist ein wenig gereizt…“, schmatze sie mit vollem Mund zwischen zwei Bissen. „Ein bisschen?!“, erwiderte ich kaum hörbar. „Was ist denn passiert?“, fragte ich weiter. Als Antwort bekam ich lediglich Schulterzucken, „Der ist so aufgewacht …“ Dann konzentrierte sie sich wieder auf ein besonders widerspenstiges Stück Dosenananas, was immer wieder trotz Gabel in die Dose zurückfiel und dabei alles mit entsprechender Flüssigkeit vollspritze. „Muss, dass sein?“, maulte ich. Auch ohne großartiges Tageslicht ahnte ich, dass mein ehemals sauberer Pullover kaum mehr ansehnlich war.

Hatte ich gestern Abend womöglich einen wunden Punkt bei ihm getroffen? Hatte er so etwas wie Gefühle? War er doch nicht so rau und abgebrüht wie er tat? Was wäre wenn… automatisch schüttelte ich den Kopf, an sich wollte ich es gar nicht wissen. Er war und blieb ein Arsch. Wie auch immer, erstmal musste ich etwas essen, schnell riss ich meiner Schwester die Gabel aus der Hand und begann zu löffeln. „Hey“, brachte sie noch heraus aber ich schnitt ihr das Wort ab „Du warst doch eh fertig.“

„Na hat’s dem Prinzen auch gemundet oder würde er gerne einen Nachtisch haben?!“, feixte Jacks Stimme kurz nachdem ich die Dose restlos ausgekratzt hatte. Ich stockte und blickte ganz langsam nach oben. „Nein Danke“ antwortete ich bestimmt und spannte gleichzeitig alle Muskeln an.

7. Türchen:

55. “Die Heimat liegt nun hinter euch- vor euch die Welt.“ -Der Hobbit/ Teil 3

Dass musste meine Schwester wohl nun auch erfahren, denn ein dumpfes Geräusch verriet mir, dass sie sich samt Rucksack einfach auf die gefüllten Jutesäcke weiter hinten im Wagon fallen gelassen hatte.

„Warum wollt ihr überhaupt weg?“ fragte Jack plötzlich. „Warum willst du das wissen?“ fragte ich misstrauisch.

Jack verzog wieder sein Gesucht. „Nun ja, ich bringe mich in Lebensgefahr nur wegen zwei… sagen wir anderthalb Spaßten, da kommt man schon ins Grübeln“

Ich zuckte mit den Schultern. „Warum sitzt man seit sechs Jahren in einem Knast? Garantiert nicht weil man Mamas Liebling ist.“ Das musste vorerst als Begründung reichen, nicht weil ich nicht mehr wusste sondern weil ich kein Bedürfnis verspürte ihm Dinge anzuvertrauen die außer mir und meiner Schwester absolut nichts angingen. Nicht einmal unseren Eltern, denn de facto besaßen wir keine mehr. „Das hat meine Frage nicht beantwortet. Mir ist es scheiß egal warum ihr dort drinnen gelandet seid. Ich will wissen warum ihr dort raus wollt… Der schnellste bist du ja offenbar nicht.“

Im Dunkeln ballten sich meine Fäuste zusammen, wenn er weiter so mit mir reden würde… Darüber hinaus was bildete sich dieser Penner eigentlich ein über uns zu urteilen? „Ich habe dich sehr wohl verstanden…“ setzte ich an wurde aber auf halber Strecke unterbrochen „Ich steh nicht mehr auf die Horrortrips von unsauberem Zeug und der Herr hier…“ meine Schwester zeigte auf mich „hat genug vom Seife hoch aufheben.“ Ganz langsam drehte ich meinen Kopf zu meiner Schwester, dass hast du jetzt nicht gesagt. Flüsterte ich ganz leise… Ich wusste nicht wer im Moment heißer war der Motor des mittlerweile dahin rasenden Zuges oder ich. Ich kochte, ich spürte wie meine Adern zu pochen begannen, meine Fäuste sich erhoben und ich fast noch schneller als Jack aufsprang und meine Schwester mit voller Kraft eine langen wollte. Doch kurz bevor meine Handfläche ihr Gesicht erreichte, stoppte dieselbige. Ich zog und zerrte aber sie bewegte sich nicht vom Fleck. Nicht nach vorne, nicht zurück. Meine Schwester öffnete leicht verunsichert durch den ausbleibenden Schlag ihr eines Auge und starrte dann mich unsicher an, dann über mich hinweg. Dann spannte ich abrupt alle Muskeln an und schnellte dann nach vorne doch außer drei Zentimeter kam ich einfach nicht mehr voran. Noch wütender als vorher schnellte ich herum und verdrehte mir prompt den Arm, der immer noch fest gehalten wurde. Doch wozu hatte man einen anderen, der statt dessen nach vorne schnellte und quasi ins Leere hineinlangte. Ein harter Aufprall und ein unterdrücktes Knurren verieten mir, dass ich wohl irgendwas getroffen haben musste. Aber dass interessierte mich nicht wirklich. Der Griff hatte sich gelockert und ich ging vollends auf die Barrikaden. Meine beiden Arme schmerzten sehr: der eine vom missglückten Befreiungsversuch, der andere vom Treffer, dass nun meine Füße zum Einsatz kamen. Wild trat ich drauflos, unter mich –  gerade aus. Doch jedes mal schienen sie ins Leere zu treffen. Was mich noch wütender machte, denn inzwischen wusste ich wer mich aufgehalten haben musste. Es gab genau eine Person neben meiner Schwester und das war Jack –  und Jack sollte dafür bezahlen. Meine Schwester war das eine, aber sie hatte schon immer ihre Klappe nicht halten und von ihr hätte ich nichts anderes erwarten können. Aber er hatte gefragt. Warum hatte er das getan. um sich weiter über uns oder viel mehr über mich zu beschweren, nur um mich bloß zu stellen, zu beschimpfen?!

Dann plötzlich traf mein Fuß auf etwas, aber es konnte nichts menschliches sein denn es gab einen harten Widerstand. Nach der ersten Millisekunde immer noch keine Federung und mein Knöchel begann wie verrückt zu schmerzen und dann gab dass Ziel doch noch nach und mein Fuß rutschte quasi nach vorne. Ich verlor durch den plötzlich fehlenden Abstand das Gleichgewicht und viel nach vorne, direkt auf mein Ziel, was sich nun als definitive nicht menschlich herausstellte. Denn das Objekt war knallhart. Ich schrie auf.  Zuletzt brummte mein Schädel, dafür wurde die Welt um mich herum wieder schärfer und ich konnte wieder einigermaßen klar denken, mein Sichtfeld verschärfte sich wieder und ich erkannte eine riesige Holzkiste vor mir in der nun mein Fuß steckte.

Ganz vorsichtig drehte ich meine Gliedmassen und ließ es sofort wieder sein, denn noch einmal durchzuckte mich ein fieser Schmerz. Ich stöhnte noch einmal auf und drehte dann meine gesamte Hüfte ganz langsam und vorsichtig bugsierte ich mein Bein aus der Gefahrenzone heraus und schaute mich dann einbeinig stehend um. Aus dem Augenwinkel sah ich meine Schwester gerade wieder von einem großen Berg aus Säcken herunterklettern, mich argwöhnisch und sogar ein wenig verängstigt anstarrend und von Jack war weit und breit nichts zu sehen. Der Typ konnte sich nicht in Luft aufgelöst haben?! „Nicht schlecht für den Anfang.“ raunte es vor mir und damit kippte die Kiste zur Seite und Jack kam zum Vorschein. In der Hocke sitzend sich die Hüfte mit der rechten Hand haltend. Durch den Widerschein der wie durch ein Wunder verschonten Lampe, konnte ich etwas aufblitzen sehen. Offenbar grinste er oder biss die Zähne zusammen, denn seine Kronen blitzen im Halbschatten. Ich hoffte letzteres.

„Damit du es weiß…“, damit stemmte er sich hoch und schaute dann meine Schwester erstaunlicherweise böse an „so genau wollte ich es gar nicht wissen.“ Sie streckte ihm nur beleidigt die Zunge heraus und begann die durchgetretene Kiste zu begutachten. Enttäuscht, dass es sich offenbar nur um irgendwelche Dosen handelte drehte sie sich demonstrativ um schreitete in die letzte Ecke des Wagons und ließ sich mit einem immer noch stets beleidigten Kleinkindlaut neben ihren Rucksack fallen um ihr gebunkertes Abendessen zu verspeisen. Beim Anblick der gold roten Dose zog sich mein Magen zusammen. Engländern hatte ich noch nie etwas abgewinnen können, nur was noch viel schlimmer war, ich wusste von ihr würde ich heute kein Abendessen bekommen. Dazu war sie zu herrisch und diskutieren wollte ich nicht. Mein Arm und Fuß taten immer noch höllisch weh. Statt dessen lugte ich noch einmal in die Kiste und erhoffte mir etwas besseres als baked beans. Zumindest die Dosenform war anders. Das war allerdings auch schon der Pluspunkt denn die Dosen stellten sich als SPAM-Konserven heraus. Gepökeltes Schweinefleisch… kalt. Lecker. Lieber verhungerte ich, als diesen Fraß zu essen. Immer noch restgeladen und nun völlig erschöpft humpelte ich soweit ich konnte von meiner Schwester weg und ließ mich die Wagonwand heruntergleiten, mit dem rechten Fuß ausgestreckt zur Seite.

„Wie im Kindergarten“ hörte ich nur als Kommentar ansonsten blieb es still. Meine Schwester war offenbar eingeschlafen. Auch die Öllampe nagte an ihren Reserven. Das Licht begann deutlich abzunehmen bis schließlich nur noch ein glühender Docht zentimeterweit den Wagon beschien.

Mein Magen knurrte und ich spürte deutlich wie er sich erneut zusammen zog. Ich wusste auch, dass kaltes Schweinepressfleisch nicht das war, was er sich erhoffte. Wozu hatte man schließlich Ärmel. Den Trick hatte ich in den letzen Jahren zur genüge geprobt und bis vor kurzen hatte er noch funktioniert. Warum also nicht aus dieses Mal und so begann ich geschützt in der Dunkelheit an meinem T-Shirt Ärmel herumzukauen. Ich kaute und kaute. Ich bemühte mich zwar meine Speichelproduktion bewusst klein zu halten, doch solche Dinge konnte ich leider nicht beeinflussen und die Feuchtigkeit stieg den Ärmel hoch. Gerade als ich begann mir zu überlegen ob ich den Ärmel nicht tauschen sollte oder zumindest mich des Pullovers entledigen sollte zischte in der Dunkelheit etwas und ich erstarrte. Wenn jetzt etwas mit der Öllampe nicht in Ordnung wäre dann… aber statt einer Explosion sah ich nur ein kleine Flamme in der Dunkelheit erscheinen und sie nach oben wandern. Ein aufflammen verriet mit, dass sch dort jemand eine Zigarette angesteckt hatte. „Willst du uns alle umbringen“, flüsterte ich entnervt. „Die schwule Nervensäge ist also doch noch wach… Schade und ich dachte ich könnt uns ganz im Stillen in die Luft sprengen“, das Glühen drehte sich in meine Richtung doch außer den Fingerkuppen konnte ich nichts erkennen.

6. Türchen:

55. “Die Heimat liegt nun hinter euch- vor euch die Welt.“ -Der Hobbit/ Teil 2

Bevor der Abhang mir die Sicht wieder versperrte sah ich wie in den rechten beiden Schlafsälen das Licht anging. Ich riss mich los und sprintete davon. Verdutzt blieb meine Schwester stehen was ist denn mit dir los „Licht, sie haben licht gemacht lauf“ schrie ich nun gar nicht mehr leise und wurde schneller.

Drei Kilometer noch vor uns. Verdammte – drei – Kilometer. An denen sollte es nicht scheitern. An mehr als wir rannten kann ich mich bis heute nicht erinnern. Ich weiß nur, dass ich wohl mehrere Male gestolpert sein muss, denn als ich am Zug ankam war meine Hose voller Löcher und meine Schienbeine bestanden aus blutigen Schrammen ähnlich wie meine Handballen. Schwesterchen erging es nicht besser auch wenn sie es nie zugeben hatte. Der Rucksack hätte uns fast den Kopf gekostet als sie beinah ins Eis eingebrochen wäre, da wir unter der dicken Laubschicht den kleinen Bach nicht gesehen hatten. Gott sei Dank war sie gerade noch so ans Ufer gesprungen. So hatten wir zwar beide klitschnasse Füße doch konnte die Jagd weiter gehen. Weit entfernt hörten wir das jaulen, das jaulen der Bloodhaunds. Der besten des Landes aber wir waren schneller. Schließlich sahen wir die ersten Häuser des Dorfes. Endlich dämmert mir auch was sie mit dem Dorf gemeint hatte. Es war die Häuseransammlung neben dem Rangierbahnhof, von dem aus die einzelnen Zugführer täglich zu ihren mobilen Maschinen entschwanden. Augenblicklich verlangsamten wir unser Tempo und auch wenn unsere Lungen brannten wollten wir keine Luft holen. Das Risiko erwisch zu werden war jetzt schon zu groß. Schließlich wusste jeder in diesem Landstrich was das Jaulen von Hunden zu bedeuteten hatte. Entweder Wölfe oder potenzielle Verbrecher. Beide galten als vogelfrei. Freiheit war wohl doch nicht so süß wie ich immer geträumt hatte.

„Habt euch Zeit gelassen, was?“ Jack stand seelenruhig am Zaun, in demselben schwarzen Mantel gekleidet wie meine Schwester. Seiner Stimme nach zu urteilen freute er sich höhnisch über das immer näher kommende Bellen. „Wir?! Naja der Träumer…“ prompt bekam ich einen freundlichen Schlag in die Milz. „Das Schloss hat auch länger als 30 Sekunden gedauert“, antwortete ich lediglich mit zusammengebissenen Zähnen. Mir war schlecht, der Schweiß rann an mir herunter, mein Puls drohte über mich hinaus zu wachsen und jenseits der 250 stehen zu bleiben. „Fürs Rechtfertigen habt ihr gleich genug Zeit, erst einmal muss ich euch hier rausschaffen…Sonst wird’s ekelig“ , bei den letzen drei Wörtern lachte er leise und bevor ich mich auch nur fragen konnte drehte er sich ein Stück in Richtung Zaun und ich sah gerade noch so etwas metallenes an seinem Gürtel aufblitzen. Der hatte doch wohl nicht…

Elegant und leise wie ein Panther erklomm er mit seinen schweren Stiefeln den Maschendrahtzaun, die Hunde völlig ignorierend. „Ich schätze auf drei Kilometer“, meinte er nur als er auf der anderen Seite ebenso lautlos auskam. Dann war ich an der Reihe zusammen mit meiner Schwester, nur war sie wesentlich eleganter oben als ich. Ich glich mehr einem behinderten Orang-Utan der sich mit allerletzer Kraft irgendwo hochzog damit er nicht von irgendwelchen Jagdhundmutanten zerfleischt würde. Oben angekommen ließ ich mich einfach nur fallen und landete hart. „Aua!“ entfuhr es mir laut, sofort zuckte ich zusammen und schaute um mich. Mein Knöchel schmerzte und Jack antworte mit „Vollidiot“ dann drehte er sich um und rannte los.

Noch ehe wir am Wagon ankommen konnten kam ein weiterer Zaun in Sicht. Mittlerweile dämmerte es und ich erkannte auch ohne Wald dass dieser Zaun ganz klar das Gefahrenschild für Explosivstoffe trug. „Ähh.. sind wir hier richtig“ „Klappe, knurrte Jack und schob einige Dielen zur Seite. Dahinter kam ein Loch zum Vorschein, eilends schob meine Schwester den Rucksack hindurch und sich gleich hinterher. Widerstrebend ließ ich mich auf die Knie nieder, ob ich da durch passte? Das Loch war doch relativ klein. „Musst schon kriechen“, murrte Jack. Widerwillig ließ ich much auf den Bauch fallen. Verdammt tat das weh. Meine Schienbeine hämmerten – ebenso meine Handballen. Normal waren wir wohl definitiv nicht. Jack schon gar nicht.

Mit diesen Gedanken und Fluchen auf eine gewisse Person schob ich mich durch die Lücke. Stück für Stück. Dann hieß es wieder aufstehen. Hoffnungsvoll klopfte ich mir den Dreck von den Resten meiner Hose. „Spar dir die Mühe, ihr werdet so oder so dreckig“, schnauzte mich Jack an. Er selbst hangelte sich abermals am Zaun hoch und sprang mit einem so kräftigen Satz nach oben, dass er es tatsächlich über den Stacheldraht schaffte. Spätestens jetzt stand für mich fest, dass Jack kein bloßer Landstreicher war, wie es meine Schwester mir immer erzählt hatte.

„Wo lang?“,murrte ich. Mir war klar, dass die zwei etwas vor mir verheimlichten und dass gefiel mir gar nicht.  Da ich nun wusste, dass er bewaffnet war und so ruhig wie er nach den Hunden lauschte vermute ich, besaß ernicht nur einen Revolver. Noch einen Kilometer, er sah sich um… dann wandte er sich nach schräg links und schlängelte sich zwischen diversen Gütern, Dampflokomotiven und Wagons hindurch. Wir folgten ihm leise. Mit der Dämmerung wurde die Wahrscheinlichkeit größer einem überpünktlichen Zugführer in die Arme zu laufen. Aber wir hatten Glück. Nach bereits drei Gleisen blieb Jack stehen und schob eine rostige Tür geräuschvoll auf. „Los, los, los rein da“… Erstaunt über das plötzliche Tempo folgte ich widerstandslos und saß prompt im Dunkeln, als Jack die Tür zuknallte. Sekunden später wusste ich auch weshalb er es so heilig gehabt hatte. nicht nur das sich der gesamte Untergrund plötzlich mit einem Ruck in Bewegung setzte, nein auch erklang plötzlich ein riesiger Knall und ich wurde in die Waagerechte katapultiert.

„Keine Angst, Stinkbombe. Verwischt lediglich Gerüche“… „und bricht Knochen“, witzelte ich trocken. Spätestens jetzt musste ihm klar sein, dass ich ihn trotz Fluchthilfe immer noch nicht mehr schätze als vor einem Jahr, an dem ihn meine Schwester aus der Scheune gerettet hatte.

Außer seinem Namen wusste ich nichts von ihm, selbst über diverse Gefängniswärter war mehr heraus zu bekommen als über ihn. Ihm zu vertrauen war mehr als dumm, aber was war uns übrig geblieben. Mit der Volljährigkeit in ein größeres Lager verlegt zu werden um weiter „verbessert“ zu werden oder aus dem gesamten Land zu verschwinden?

Meinem eben sehr gelungenen Witz wie ich fand, ignorierend, zündete er eine alte Bergarbeiterlampe an und ließ sich mit anmutiger Drehung auf dem Boden nieder direkt vor einem Haufen Holzkisten. Dann hob er den Kopf „Meine Dame“, er wandte sich meiner Schwester zu, die immer noch auf ihren Füßen stand den Rucksack in ihren Kniekehlen hängend, „und dem verehrten Herr „hier sehen sie ihre Mitfahrgelegenheit“ statt mich anzuschauen schwenkte er die Lampe in einem Halbkreis vor sich her, sodass kurz der gesamte Wagon zu erkennen war. „Eingestiegen seid ihr ja schon, jetzt heißt es nur noch Fresse halten und schlafen“. Damit drehte er das Blechstück der Lampe vor die Glühbirne so, dass ich angestrahlt wurde und sein Gesicht im Dunkeln befand. Reizend. Ich brummte und kniff geblendet die Augen zusammen sagte aber nichts. Auf eine weitere Diskussion hatte ich keine Lust, dafür war mein Körper und Geist definitiv zu ausgelaugt.

5. Türchen:

55. “Die Heimat liegt nun hinter euch- vor euch die Welt.“ -Der Hobbit/ Teil 1

„Können wir los? Hast du jetzt endlich alles?“ meckerte meine Schwester mir ins Ohr. „Natürlich, was denkst du denn?“ zischte ich zurück, „und schrei nicht so, willst, dass wir alle aufwecken oder was?!“ Statt einer Antwort bekam ich nur einen bösen Blick zugeworfen, typisch Mädchen. Aber jetzt darauf einzugehen würde uns nicht nur zu viel Zeit kosten sondern vermutlich auch noch den Kopf. So schwieg ich geflissentlich und tastete mich direkt hinter ihr die schwere Eisentreppe hinunter. Oder zumindest tasteten wir uns irgendetwas herunter, denn mochte es zwar eine Treppe sein, so sah ich sie nicht. Um genau zu sein sah ich gar nichts, noch nicht einmal meine eigene Hand vor Augen. Gewitterwolken sei Dank… Insgeheim hoffte ich die schweren Wolken würden auch weiter so brav und geduldig auf ihrem himmlischen Platz bleiben, zumindest bis wir mindestens eine Meile von unserem Gefängnis, gennant zu Hause, entfernt wären.

„Au! Du Vollidiot! Kannst du nicht besser aufpassen?!“, schrie es direkt vor mir… Als Antwort bekam sie lediglich ein Schnauben… „Lauf nicht in mich rein du Blödmann“, schnauzte sie erneut. „Und du weck nicht das ganze Haus auf!“, erwiderte ich erneut. Darauf hin kam wiederum nichts von ihr. Na, das würde ja heiter werden. Weshalb hatte ich noch einmal der dämlichen Idee zugestimmt, genau zu diesem Zeitpunkt, in dieser Jahreszeit und überhaupt von hier abzuhauen? „Denk nicht mal dran Freundchen… Ich geh auch alleine und dann darfst du diesmal ohne Babysitter die Seife aufheben, kapiert?“ kam es mit einem leisen Klack wieder von vorne. Mein Auge zuckte nervös „Halt den Mund.“ entgegnete ich leise. „Wie viele Schlösser noch?“ setzte ich hinter her. Angespannt lauschte ich in die Stille, aber außer dem Kratzen des Drahtes an der Tür konnte ich nichts wahrnehmen. Hoffentlich würde es klappen. Es musste einfach und zwar in den nächsten Minuten sonst wäre das Risiko zu groß um die geplante Route zu laufen. Wachen waren auch nur für eine bestimmte Zeit ohnmächtig…

Einatmen, leise wieder ausatmen mittlerweile eher etwas lauter. „Könntest du dich nicht einmal beeilen? Du hast mir versichert, dass du dieses Schloss blind knacken könntest…“

So langsam wurde ich wirklich nervös, mit der laufenden Zeit schwand meine Angst vor den da gewesenen Zuständen. Viel mehr bekam ich Angst vor der Situation zu scheitern. Einzelhaft oder viel mehr Hausarrest wie die Hausherrin es nannte war noch das angenehmste und geringste was einem hier passieren konnte. Langsam wurde es hier unten im Gang auch stickig. So leise wie möglich krempelte ich meine T-Shirtärmel hoch, noch 3 Minuten. Unglaublich, trotz der gebildeten Schweißperlen hatten sich meine Körperhärchen wie eine Ritterrüstung aufgestellt. Ich sah vermutlich aus wie eine elektrisierte Ratte.

„Hetz mich nicht…“ fauchte sie und schon ertönte der letze Klick. „Siehst du?“ an ihrer Stimme hörte ich wie sie triumphierend lächelte. Jetzt hieß es rennen und zwar so schnell und so leise wie wir konnten. Mit dem Türenknacken war der erste Teil geschafft nur was war der erste Teil ohne den zweiten oder dritten viel mehr vierten? Richtig gar nichts, und so hieß es während des Rennens auch noch den Positionslampen ausweichen. Gott, verdammte fünf Kilometer lagen noch vor uns. Fünf Kilometer voller Gefahren, wie plötzlich entgegenkommende Autos oder spontane Patrouillen. „Verdammt hörte ich es von weiter vorne“, schnell legte ich noch ein Zahn zu. Ich war bereits jetzt schon aus der Puste und wir hatten gerade mal 500 Meter hinter uns. „Was ist passiert?“ fragte ich keuchend merklich panisch. Die Gänsehaut dominierte nun klar meine Synapsen. Vorhin war es wohl kein Hitzeschweiß gewesen sondern pure Angst. „Merkst du eigentlich überhaupt noch etwas, du Holzkopf?“ , „Tut mir Leid, wenn ich nicht so multi-taskingfähig bin wie du, Supertrooper… was denn?“, flüchtig blickte ich um mich aber sehen konnte ich nichts verdächtiges. „Bingo“, du siehst nichts, was?“ kam es von ihr. Ich schaute sie an. „Woher. Schau mal nach oben… Deine lieben Wolken verabschieden sich gerade.“ Irritiert starrte ich sie an, „na los“ damit deutete sie über sich. Immer noch verwirrt legte ich den Kopf in den Nacken und merkte erst jetzt das der Mond sowie die Umgebung heller geworden war. „So ein Mist, zischte ich…“ Mit diesen Worten peitschte uns eine eiskalte Windböe in den Rücken. Die Wolken bewegten sich schnell. „In die Wälder. Sofort!“ Die Landstraße und Felder konnten wir ab sofort vergessen. Wir wären zu leichte Ziele. Wie lange würde der Wind noch auf unserer Seite sein? Würde unser Fehlen entdeckt würden sie hundertprozentig die Hunde loslassen und dann gnade uns Gott. „Wo geht’s lang?“, meine Schwester drehte sich fragend um sich selbst. Mittlerweile keuchte ich nicht nur sondern meine Beine wurden Bleiklötzen immer ähnlicher, weshalb ich fast wiederholt in sie hineingerannt wäre. Mit ihrem riesigen Mantel war sie von der wieder rabenschwarzen Nacht kaum zu unterscheiden. „Äh…“, zerstreut entfaltete ich die provisorische Kugelschreiberkarte. Dummerweise war diese leider ausschließlich für die Felder gezeichnet und nicht für den angrenzenden Wald, dennoch Jammern half nun auch wieder nichts. „Auf gut Glück in 10 Minuten über die Straße und dann wieder in die Büsche…“, lautete deshalb meine wage Antwort. Falls man es noch Antwort nennen konnte so sprachlos wie mich meine Lunge machte. „Könnten wir dann etwas langsamer werden?“ , keuchte ich wieder denn meine hyperaktive Schwester war schon wieder losgerannt, den Baustamm überstieg ich lediglich. „Erstens wer trägt hier den Rucksack und wer ist hier kleiner? Außerdem wir haben noch vier Kilometer vor uns… Ich stöhnte, diese Wälder hatten den Weg verdoppelt. „Wenn wir in die Nähe des Dorfes kommen, dann können wir langsamer werden rief sie über die Schulter zurück. Ich seufzte darauf nur erneut und riss mich zusammen. Dorf, Dorf? Ich wusste zwar nicht wovon sie redete doch mir war es egal weshalb wir langsamer werden mussten Hauptsache wir taten es.

Während des hinweg rennens machte ich mir Gedanken über unsere Vorbereitungen. Über ein Jahr hatten sie gedauert, was wir in der Zeit alles an Plänen geschmiedet hatten und an Dingen zusammen gesucht, gebaut, geklaut hatten war schier schon fast ein Lebenswerk. Vor allem hatten wir Lebensmittel gehortet. Unter der rechten Bodendiele des Hinterzimmers des Putzmannes. Was nicht alles mit einem passierte wenn man auf Nahrungssuche war. Mein Geruchssinn hatte sich in den letzen Monaten zu dem eines Hundes verstärkt. Die Augen meiner Schwester waren so stark wie die eines Adlers. Was wir alles aufgetrieben und was der Preis dafür gewesen war. Köche konnten so gierig werden…

Nun bogen wir auf eine geradere Strecke ohne Unterholz oder Hügeln ein und ich nutze die Zeit um zurück zu schauen. Von unserem höher gelegenen Standpunkt aus konnte ich nun das gesamte Tal überblicken. Fast schon wunderschön, wenn dort am Ende des Kessels nicht dieses eine Herrenhaus gestanden hätte. Der Horrorort für Kinder wie uns, „schwer erziehbar“ wurden wir geschimpft und „wertlos“. Das Einzige was uns noch hätte helfen könnte war laut Regierung ein Programm zur „Konditionierung auf die gesellschaftlichen Normen“. Unsere Eltern sahen es wohl ähnlich und so schickten sie uns mit gutem Gewissen an diesen grausigen Ort. Einen Ort ohne Freiheit, Kreativität oder Genuss für Bildung. Bloßes Arbeiten und Lernen. Arbeiten an Ziegelsteinen oder Straßengraben ausheben und Propaganda lernen, die besagt wie großartig doch der Staat sei. Darüber hinaus liefen über den ganzen Tag Nachrichten wie erfolgreich wir im Krieg gegen den Westen seien… Dumm nur dass sich der Westen gerne mal in den Süden oder Norden verwandelte. „Nett, dass du einen Reisebericht verfasst, aber im Zug haste Zeit genug dazu.“ Damit packte mich jemand von hinten und schleifte mich mit…

4. Türchen:

10. „Mir geht gleich der Hut hoch junger Mann!“ -Charlie und die Schokoladenfabrik/ Teil 4

Gut, es stimmte zwar was ich gesagt hatte, aber ich hatte mir eigentlich vorgenommen meinen Vorsatz heute treu zu bleiben. Warum konnte ich nicht einmal in meinem Leben meine Klappe halten. Ich bemerkte wie Marek hinter mir einen Lachkrampf zu unterdrücken versuchte. Er fand das wohl als einziger unglaublich komisch. Der Junge neben mir rutschte eilig so weit es geht von mir weg, als ob ich gerade mit einer tödlichen Krankheit infiziert worden wäre. Die Aufmerksamkeit Gromows nach einer Provokation konnte man deutlich dazu zählen.

Dazu konnte eigentlich es auch nicht zulassen, dass dieser eitle Wirrkopf den jüngeren unter uns falsches Wissen und vokalem falschen Sprachgebrauch vermittelte, Provokation hin oder her. Mein Vater würde es hoffentlich verstehen. Meine Mutter vermutlich weniger. Dennoch… das könnte nun besonders heikel werden. In Stockstarre versetzt, wartete ich vorsichtshalber. Vielleicht könnte ich doch noch unsichtbar werden und –  es schien sogar zu funktionieren zumindest hatte es den Anschein, dass er meine Anmerkung gar nicht gehört hatte. Ich wartete noch einige Sekunden, dann plötzlich in dem Moment in dem ich wieder meinen Atlas hochnehmen wollte drehte sich Herr G. abrupt um und steuerte auf mich zu, wie ein Abrissbirne, dem Horror entgegenblickend, begannen meine Hände plötzlich zu zittern. Das Lächeln war kein zähnefletschen mehr sondern der Ausdruck purer Wut und Mordlust. Bei mir angekommen beugte er sich zu mir hinunter und blieb genau zwei Zentimeter vor meinen Gesicht stehen und starrte mir in die Augen. Ich begann wie wild zu zwinkern. Mein gesamter Körper signalisiert meinem Geiste: Flucht! Nur war das leichter gesagt als getan. Trotz Adrenalienschocks konnte ich mich nicht mehr bewegen. „Mir geht gleich der Hut hoch junger Mann!“. Das erste Mal in meiner Schullaufbahn nannte er jemanden von uns „junger Mann“…. Ich war geliefert.

Ich versuchte meine Angst zu verstecken und das Zittern zu unterdrücken. Gnade mir Mutter. Ich strafte die Lippen „Aber Sie tragen doch heute gar keinen Hut“, konterte ich und versuchte zu lächeln. Alles wollte ich damit sagen, dass alles doch bloss eine kleine Fallstudie gewesen sei und ich das vorhin ausgesprochene gar nicht ernst gemeint gewesen war.

Warum konnte ich mein loses Mundwerk auch nicht halten…

Gromows wutentbrannte Fratze nahm nun nicht mehr menschliche Züge an, statt rot erblasste er heftigst. So weiß konnte selbst ein Patient mit einer ischämischen Herzkrankheit nicht mehr werden doch im Gegensatz zu einem schwer Kranken knurrte er mir nur noch einen halben Zentimeter von meiner Nasenspitze entfernt ins Gesicht:

„Herr Jovanov raus. Sie sind suspendiert…“ damit knallte er seinen Stock auf meinen Tisch sodass mir einige Holzsplitter ins Gesicht spritzen und ich sein fieses Brennen verspürte. Einer traf genau an meine Augenbraue. Ein abermaliges Brennen… dieses Mal deutlich stärker.

Doch anstatt aufzuspringen und rauszurennen, wie meine sterbliche Hülle es mir befahl, stand ich ganz ganz langsam auf, versuchte so wenig wie möglich zu zittern und stütze mich würde zu bewahren meine Sachen zu packen. Meine Lubrical Muskeln hatten sich zwar nun erholt doch statt dessen fühlten sich meine Quadrizeps sowohl als auch mein Semitendinosis wie Pudding an… Ich griff gerade nach meinen Atlas, als ich nur einen Luftzug spürte und dann das unangenehme Brennen seit dem Augenblick, als ich in das Brennesselbeet meiner Baba gefallen war. Ich biss die Zähne aufeinander, mein Kiefer spannte. Nicht schreien, ich durfte ihm nicht die Genugtuung geben zu schreien. „Den lassen Sie höflicherweise hier!“ zischte er abermals. Ich nickte bloß, umso besser mit einer Hand hätte ich ihn auch nicht tragen können.

Mittlerweile stiegen mir reflexartig die Tränen in die Augen. Ich musste hier raus. Nun reagierte meinen Körper wieder. Meine Muskeln verfestigten sich, der Schlag war wohl das was ich gebraucht hatte, um Rezeptoren zu reanimieren.

Also trat ich den allzu bekannten Weg durch die Schulkorridore an. Der arme Marek musste heute wohl den gesamten Tag alleine durchstehen, es sei denn, er ließ sich auch  etwas zu Schulden kommen lassen. Jedoch dreimal hintereinander provoziert zu werden, dass würde selbst Marek bei Gromow nicht wagen. Zu gefährlich, da konnte man gleich lieber in ein Sperrfeuer springen.

Die Zimmertüre des Direktors war aus schwerem, dunkelbraunen Eichenholz, das über die Jahre arg gelitten hatte. Hier und da war der Lack abgeplatzt und die Ecken lagen brach, ohne obere schützende Farbschicht. Wie die frisch bestellten Felder der Bauern hinterm Dorf im Frühling, wenn sie noch nicht gesät hatten oder ein weiterer Vergleich wie ich. Ich lag auch brach, schutzlos vor dessen was mich darin, in der Höhle des Homo sapiens erwartete.

Zaghaft klopfte ich an der Tür, sie klang hohl und dumpf zugleich. Das Nachhallen wurde leiser, ich wartete…. Schließlich erklang eine dumpfes „Herein“.

„Ach Semjon schon so früh? Es ist noch nicht einmal die erste Stunde vergangen. Möchtest du bei mir einziehen?“ fragte mein Rektor mit einem belustigten Unterton. „Entschuldigen Sie, aber ich schlafe daheim ganz hervorragend“. Seine Mundwinkel zuckten ein kleines Stückchen. Huschte dort ein Schmunzeln über die Lippen des Direktors, oder hatte ich mich da getäuscht? Vielleicht war es auch nur eine Lichtspiegelung gewesen, ein Spiel zwischen Licht und Schatten was einem an manche. Gagen solch elendige Streiche spielt, so dass man sich von der Natur zum Narren halten ließ, doch sofort verfinsterte sich seine Mine. „Was war es diesmal?“ fragte er nur und zündete sich eine Zigarette an. Dem Geruch nach zu urteilen war es nicht seine erste heute, ich vermutete dass Zoja ihm schon ganz schon etwas abverlangt hatte.

Da ich nicht wirklich eine Wahl hatte, begann ich zu erzählen von Anfang an wobei es nicht viel zu erzählen gab… Meinen Morgen sowie die Schminkorgie ließ ich lieber außer acht.

Geduldig hörte er zu und nickte hin und wieder… unser Herr war kein cholerischer oder gar böser Mann, aber er besaß gewisse Grundsätze. Darüber hinaus hegte er eine bemerkenswerte Strenge, dies zeigte sich in seinem chronischen Nichtlächelns.

 

Bedauerlich, aber vielleicht würde der Direktor auf seine alten Tage ja noch weicher. Als ich mit meinen Worten geendet hatte herrschte Stille, aber leider war es die Sorte von Stille die Angespanntheit, Peinlichkeit oder Stress verursachte. Nach weiteren Sekunden, meine Hände fingen wieder an zu schwitzen, seufzte mein Gegenüber lediglich und blies nachdenklich einen Rauchring gen Zimmerdecke, dann lehnte er sich in seinen Lehnstuhl zurück und schüttelte nur ratlos den Kopf. „Was soll ich bloß mit dir machen, dass du solche Wiederworte gibst, ganz deines Vaterslinie. Unglaublich“ er schüttelte missbilligend den Kopf. Anschliessend sah er mich ernst an. „Leider kann ich dich weder in eine andere Klasse versetzen lassen noch Herrn Gromow entlassen und eigentlich müsste ich dich jetzt suspendieren… Wie Fräulein Moravac. Doch sie tauchte noch nicht einmal hier auf.“

Verblüfft starrte ich ihn an.. „Zoja ist nicht…?“ Abermals schüttelte er den Kopf und an seiner Art wie er es diesmal tat wurde mir bewusst, dass ihn nun niemand stören sollte… Er musste denken… abrupt stand er auf und schritt zu seinem Bücherschrank, sein Finger glitt suchend die unterschiedlich großen Buchrücken entlang. Die wenigsten konnte ich lesen. Gespannt verfolgte ich seine kleine Wanderung durch seine literarischen Schätze als sein Finger an einem hellblauen braun gemusterten Leineneinband angekommen war. Dort stoppte er so plötzlich wie er vor einigen Sekunden aufgesprungen war. Dann zog er das Buch heraus. Wollte er mir auch diesmal wieder zu lesen geben? In dem Moment als er das Buch aus dem Regal zog benötigte er seine beiden Hände, so viel Masse schien es zu besitzen, dann wuchtete er es auf die Arbeitsplatte vor mir. Dieses Buch war noch dicker als alle anderen, die ich vorher jemals gelesen hatte oder lesen musste. Mindestens 1000 Seite, ein Wahnsinn. Der Direktor ließ es in meine Arme fallen, ich musste die Wucht mit meinen gesamten Körper ausgleichen um es nicht fallen zu lassen, so schwer war es. „Nun bis nächsten Dienstag möchte ich, dass du mir dieses Buch durchließt und danach mir einen mindestens 500 Seiten langen Aufsatz dieses Werkes verfasst. So und jetzt scher dich nach Hause, zum Teufel, die Zeit wirst du brauchen.“ Damit öffnete er die Tür und gab mir zu verstehen dass ich nun besser verschwinden sollte. Ich schaute nur auf das Buch und schluckte: „Aber dieses Buch. Es ist viel zu dick“.

Rektor nickte: „Du solltest dich eben beeilen, sonst reicht die Zeit nicht mehr. Ich denke es ist besser als ein Verweis.“ Mit diesen Worten schob er mich über die Schwelle und schlug energisch die Tür hinter mir  zu. Ich drehte mich um. Mir war immer noch unklar, was passieren würde ,wenn ich die Aufgabe nicht schaffte. Andererseits, ich stockte… Dann viel mein Blick auf den Titel des Buches, der in breiten Lederbuchstaben in den Einband gestanzt war. Silberne Farbe hatte sich an den Rändern festgesetzt und gab dem Buch so ein noch älteres Aussehen als es vermutlich war: „Die Nebel von Avalon“. Verblüfft zog ich die Augenbrauen hoch. König Artus? Gerade kehrte ich meine noch übrige Zeit ins Vergnügen um, zumindest Versprach ich mir dies. Mit einem Lächeln machte ich mich auf den Weg zum Ausgang. Auf dem Rückweg kam mir eine allzu bekannte Gestalt entgegen. Marek. „Was machst du denn hier?“, fragte ich erstaunt. „Mir eine neue Hauslektüre abholen“, er grinste, „Herr Ibrahimovic mag es doch nicht, wenn man ungefragt auf dem Barren herumturnt. Außerdem ist es so langweilig ohne euch“. Und damit verschwand er lachend, rückwärts laufend im Nebengang.

Ende

3. Türchen:

10. „Mir geht gleich der Hut hoch junger Mann!“ -Charlie und die Schokoladenfabrik/ Teil 3

Die nächsten Minuten verbrachte Gromow damit uns zu erklären warum er gerade heute morgen uns betreute und nicht Frau Sorokin. Denn die liebe Frau wäre immer noch krank geschrieben. Tragischer Unfall. Auf dem frisch geputzten Fliesen ausgerutscht, um ehrlich zu ein überraschte mich auch das nicht. Herrn Gromow traute ich ebenso zu unsere Klassenlehrerin eigenhändig dazu zu bringen auszurutschen nur um mich und Marek ärgern zu können. Nach der Predigt, der Anwesendheitsprüfung sowie Seitenhiebe in Richtung meines treuen Gefährten und meines fast zu spätkommens fing er endlich an sich der völlig veralteten Weltkarte zuzuwenden. Seine Miene war dabei dieselbe wie vor den Ferien eine Maske aus eiserner Neutralität, die wettergegerbte Furchen in seinem Gesicht zuckten noch nicht einmal. Er hätte fast unter die Definition eines Untoten passen können. Wären da nicht diese eisblauen funkelnden alten, wilden Augen gewesenen, die jetzt die Reihe von Schülern nach einem potentiellen erstem Opfer Ausschau hielten. Wie der Löwe der eine Antilope reissen will, flüsterte ein jüngerer Schüler neben mir und duckte sich unter den Blicken des Lehrers weg oder versuchte es zumindest. Mit Erfolg. Gromow beachtete ihn nicht noch nicht einmal mit der Wimper. Der Kleine war zu unwichtig, wichtiger waren wir drei…

„Nun liebe Schüler“ begann er erneut. Seine Stimme schnarrte und triefte vor Verachtung. Für ihn waren richtige Schüler nur diejenigen, die ihren Wehrdienst mindestens mit einer Auszeichnung erfolgreich abgeschlossen hatten und davon gab es in unsere Klasse genau niemanden. Ich hatte sogar ein Jahr lang Zivildienst abgelegt, da ich den Dienst verweigert hatte. Marek war entlassen worden, gleich nach der ersten Nacht, hatte er sich selbst fast vor den Militärtransporter geworfen aus, wie er es beschrieb höchst pazifistischen Ideologien.

„Es existieren hier nicht nur Schüler sondern auch Schülerinnen“, flüsterte Zoja halblaut. Zoja war im Gegensatz zu Marek eine äußerst verbissene Anarchistin. Herr Gromow drehte den Kopf in ihre Richtung und schritt bedrohlich auf sie zu. „Fräulein Moravac, wenn sie so freiheitsliebend sind können sie Ihren Tag auch draußen vor der Tür verbringen…“, drohte er und berieselte sich dabei mit seinem Speichel. Was ihre Bemerkung mit seiner Freiheit zu tun hatte erschloss sich mir nicht, aber dank meines Atlanten blieb zumindest die Spucke auf Abstand und ich hielt weithin mein Mundwerk geschlossen. Viel lieber bekritzelte ich die Buchten Finnlandes so, dass  es zum Schluss aussah wie Jimi Hendrix legendäre E-Gitarre.

In der Klasse herrschte derweil angespannte Stille, es geschah selten das jemand Herrn Gromow gleich in der ersten Stunde nach den Ferien herausforderte, der letzte der dies getan hatte war mein Vater gewesen und danach sollte er erfahren, dass niemals aber auch wirklich niemals das hätte tuen sollen. Nach einigen Sekunden eiskalten Blickduells wich Zoja dem Blick Gromow aus und wandte sich wieder ihrem Atlanten zu. Anscheinend hatte auch sie die Gerüchte um meinen Vater nicht vergessen ansonsten wäre sie nicht so ruhig geblieben.

Die Klasse atmete auf, das Donnerwetter war anscheinend verhindert worden, aber dann wie vom Blitz getroffen, sprang Zoja wütender als zuvor auf, raffte ihr Sachen und schaute Herrn Gromow direkt in die Augen. „Mit Vergnügen“ spei sie ihm ins Gesicht und knallte die Tür.  Marek grinste, schien allerdings auch noch nicht realisiert zu haben was dort gerade vor sich gegangen war. Meine Mitschüler auch nicht, obwohl die Entspannung nach der Anspannung ganz deutlich nicht mehr zu spüren war. Es war sogar noch stiller und vor allem noch viel viel bedrückender als zuvor. Ich bekam Angst aufzuatmen. Es allen anderen nachahmend spannte ich meinen Trapezmuskel an und benutze den Atlas als eine Art Schutzschild gegen den Frontangriff, der zu zweihunderprozent kommen würde. Langsam startete ich in meinem Kopf einen Countdown. 10…09…. 08.. wie lange würde es noch bis zur Detonation dauern. 07… 06… 05.. die Spannung stieg. Mein Körper spannte sich an bereit in die hinterste Reihe zu hechten.  Ganz vorsichtig schob ich meine Augen nach oben, gerade so, dass ich über den Atlasrand hinweg lugen konnte. 04..03…02 Herr Gromow stand immer noch fassungslos starrend auf die gerade zugeknallte Tür. Dann ging ein Ruck durch seinen gesamten Körper, wie eine Marionette stand er nun stocksteif da und starrte uns an. 01.. 00 Einschlag! Die ganze Klasse zog reflexartig die Schultern hoch und schob die Hände über die Ohren, dabei verloren alle zwar den Alas als Schild allerdings wollten die Sinne besser geschützt werden als die Stirn.

Sekundenlang verharrten wir – bereit mindestens irgendwo ein Lineal knallen zu hören oder zumindest eine gewaltige Schimpftirade über uns ergehen zu lassen, aber es kam nichts, gar nichts. Abermals schielte ich durch meine zusammengekniffenen Augen und über den Atlas hinweg. Ich hatte meine Ohren nicht geschützt. Gromow war nichts anders als ein weiteres Rockkonzert für meine Ohren. Gerade so sah ich wie Gromow sich nun wieder der Weltkarte zuwandte und musterte sie, mehr konzentriert als nötig.

Herr Gromow blieb sprachlos. Ich war fast entsetzt – nun viel mehr erstaunt. Wie in Zeitlupe kam ich hinter meinem Atlas hervor, Marek war ebenfalls neugierig geworden, denn ich hörte von rechts neben mir sein Mantel rascheln. Sofort erstarrte er – bereit doch noch eine Standpauke zu erhalten, aber nichts. Rein gar nichts.

Das war noch nie passiert. Gromow hatte das erste, nein, das zweite Mal in seinem Leben eine deutliche Provokation ignoriert! Er hatte noch nicht einmal eine Antwort gegeben die einen frösteln liess… Heute stimmte etwas ganz und gar nicht mit ihm.

Nun drehte er sich wieder ganz langsam zur Raummitte und lächelte uns an. Kalt, gefühllos, angespannt mehr zähnefletschend, aber mehr konnte man wohl von ihm auch nicht erwarten. Dann: „So, wer kann mir sagen welches die Hauptstadt von Holland ist?“

Keiner meldete sich… „Eine Hauptstadt von Holland gibt es nicht, denn Holland ist lediglich eine Provinz die an der Nordsee liegt und korrekterweise somit zu den Niederlanden gehört. Wenn Sie, Herr Gromow die Antwort hören wollen, dass Amsterdam die Hauptstadt sei, müssten sie fragen ‚Wie lautet die Hauptstadt von den Niederlanden…“ Scheiße, wer war das gewesen?! Ehe ich mich versah spürte ich binnen Sekunden mich im den Mittelpunkt gerückt. Verdammt war ich das gewesen?

2. Türchen:

10. „Mir geht gleich der Hut hoch junger Mann!“ -Charlie und die Schokoladenfabrik/ Teil 2

Mittlerweile mehr panisch als besonnen und auf Ordnung bedacht warf ich nun meine spärliche Kleiderauswahl in einer perfekt geformten Parabel hinter mich auf den Pseudopermafrostboden meines Zimmers. Doch egal wie intensiv ich suchte das Shirt blieb unauffindbar.

Immer noch stets auf Abhilfe hoffend fing ich an mich wie die Derwische im Kreis zu drehen, dank fehlender Balance allerdings nur auf beiden Beine statt auf einem. Immer schneller und schneller drehte ich mich bis mein Blickfeld schon anfing zu verschwimmen, als ich gerade noch so im Augenwinkel einen moosgrünen Haufen erblickte. Ein noch nicht von frischer Farbe beflecktes Shirt, der helle Wahn. Kurzärmlig und mit verwaschenem schwarz-weiß Muster. Besser als nichts, obwohl die kurzen Arme mir heute noch vermutlich eine ordentliche Gänsehaut verpassen würde.

Ich lauschte erneut, meine Mutter musste wohl mein Dielenknarren gehört haben, denn unten klapperte sie statt mit dem Blecheimer nur mit unserem Geschirr. Ein klares Zeichen, dass die Gefahr gebannt worden war… zumindest diese, denn als ich etwas lauter als nötig die Stufen hinunter polterte traf mich fast eines der Kissen meiner Schwester „Geht’s noch lauter?!“ wurde die Attacke kommentiert Ich murmelte ein zustimmendes „Ja“, doch allzu laut wagte ich es nicht zu rufen.

Gegen zwei Frauen war ich alleine machtlos und ich war mir sicher, dass der Eimer immer noch gefüllt in der Spüle stand, nur vorsichtshalber. Anstelle meiner Schwester  zu gratulieren, dass sie an ihrem freien Tag mal früher aufstehen hätte können um wenigstens einmal im ihrem Leben produktiv sein zu können, verbiss ich mich lieber in mein Piroschki und verstaute den Rest vom gestrigen Mahl irgendwo zwischen meinen Heften, ich hoffte in dem Moment einfach dass die Blechdose dichthalten würde. Zu spät würde ich vermutlich nicht mehr kommen, aber die Angst vor meiner Schwester wuchs zusehends, denn nun hörte ich ebenfalls ihr Dielen knarren und das war für mich das Warnzeichen zum endgültigen Verlassen des Hauses.

Die Zwiebelschichten anziehen kostete nicht nur Geduld sondern auch Zeit, Zeit die ich nun nicht mehr hatte. „Semjon?!“ Verdammt, jetzt wollte meine Mutter auch noch auf mich aufmerksam, Wenn sie jetzt mit einer Standpauke ansetzte, dann… „Hast du die Blumen für die liebe Frau Sororkin?“ Ich stöhnte. Nicht auch noch dass noch. Ich schmatze eine Art „hm“ zurück und widmete mich wieder meinem Piroschki. Zur Not bekam sie eben ein Budget vom Straßenrand. Wahrlich schöne Blumen blühten hier nicht, aber wirklich Wert auf diese Tradition hatte Frau Sorokin noch nie gelegt. Sie leidete an Pollinose, gut gemeint ist eben nicht immer gut getan.

Inzwischen war ich bei der letzen vor Kälte schützenden Schicht angekommen, als meine Frau Mama um die Ecke gerauscht kam nur um mir zum Abschied eine dicke Thermoskanne in den Arm zu drücken, begleitet wurde es mit einem gleichzeitigen fast erdrückenden Knuff. „Musst du dich immer wie ein Oger anziehen? Der Vorhang existiert doch schon seit Jahren nicht mehr…“ maulte sie, als sie sich von mir los machte um mich ein letztes Mal zu betrachten. Ich legte den Kopf schief – mein Zeichen für keineswegs existierende Lust um eine kreative Diskussion anzufangen. Gleichzeitig nuschelte ich wieder irgendetwas von „bis später“ und kaute den Rest meines Frühstücks zu Ende, erwiderte schnell den Knuff und verschwand dann eiligst mit der heißen Kanne und meinem Rucksack hinter der nächsten Ecke. Plötzlich bekam ich irgendwie das Gefühl, dass ich etwas vergessen hatte. Merkwürdig, dabei hatte ich doch alles. Vermutlich die bereits beginnende Paranoia. Der Blumenstrauß konnte es nicht sein, der war mir einerlei. Nein, es war etwas anderes, etwas viel essentielleres… Doch schon bald überdeckte die Bezeichnung Oger meine Sorgen und ich grunzte empört. Ich und ein Oger. Oger waren unhygienisch, dumm und äußerst launisch. Keines der drei Attribute traf auf mich zu, nur weil mein Wintermantel eben der meines Großvaters gewesen war, der musste eben als inoffizieller Grenzsoldat arbeiten. Das war eben kein  Massanzug, wozu auch. Er sollte lediglich warm halten ein Yamamoto tat dies eben nicht. Darüber hinaus war dieser Kinderfilm außerordentlich unlogisch gewesen. Mitten drin paarten sich ein Esel mit einem Drachen…

Nicht nur, dass es zwei völlig unterschiedliche Arten waren ,nein die Kinder der beiden waren auch noch lebensfähig… und vor allem besaßen sie alle dieselbe heterozygotischen Merkmale, was ehrlich gesagt quasi unmöglich war. Dagegen war der Film mit den Löwen realistischer. Obwohl der auch einige Lücken aufwies. Der kleine Löwe hätte nie Alphamännchen werden können… Schon gar nicht sein Vater. Denn Löwinnen standen für gewöhnlich auf Löwen mit einer dunklen Mähne… Der Löwe aber mit der dunklen Mähne war verstoßen worden.

Inzwischen war die namenlose Bergkette in Sicht gekommen ein Zeichen dafür, dass Mareks Haus hier in der Nähe lag. Jahrelang hatten mein bester Freund und ich versucht einen passenden Namen für die recht lustig anzuschauenden einsamen Bergriesen ausdenken, aber ohne Erfolg. Keiner wollte so genau passen, dass er prägnant in unseren pubertären, löchrigen Cerebrum verweilen wollte. Auf die Frage, warum der Berg namenlos wäre  antwortete damals mein Erdkundelehrer, dass es sehr unhöflich wäre ihn  zu unterbrechen. Darüber hinaus gebe es keinen der diesem Monstrum an Felsen Namen hätte geben können, selbst wenn er gewollt hätte. Das warum ließ er wie immer offen….