Salonfähig Stigmatisieren? Nichts da….

Misanthropenherz klärt auf, ein zweiter Versuch. Vielleicht hätte ich mit diesem Beitrag sogar anfangen sollen, um überhaupt so etwas wie ein Fundament zu legen. Aber ihr kennt mich und meinen Blog und schließlich funktioniert ein Iglu- oder Wigwam-Bau auch ohne ausbetonierten Hohlraum. Es lebe die natürliche Unordnung oder so ähnlich.

Heute geht es um das allgemeine Thema Labels. Also die Kategorisierung von romantischen sowie sexuellen Orientierungen und Gendern. Weshalb benötigen (manche) Menschen Labels? Inwiefern engen diese Definition das Denken ein? Verhindert es den Austausch? Sind diese ganzen Definitionen nicht schon hyper-Individualismus? Muss man sich selbst auf ein Label reduzieren, sind wir alle nicht einfach nur Menschen?

Bevor wir in den kontroversen Diskurs einstiegen, hier die grobe Vorgeschichte der LGBTQ+ Bewegung. In den 1980er Jahren erreichte die zivile Bürgerrechtsbewegung gerade in den USA eine Präsenz, die man nicht mehr leugnen oder unterdrückend konnte. Es war nicht mehr nur eine große Gruppe, die auf die Straße ging und sich öffentlich positionierte, viel mehr waren es mehrere hundert kleinere Grüppchen, die sich der Protestwelle anschlossen und so die Masse zum Wachsen brachte. Eine dieser kleineren Gruppen war die Gay-Rights Bewegung. Damals stand gay noch für alles und jeden auf der Welt, der sich nicht als heterosexuell bezeichnete. Die Definition ist jedoch ein wenig weit und dementsprechend recht sperrig. Daher etablierten sich im laufe der 80er Jahre Begriffe wie lesbisch oder bisexuell. Das Kürzel LGB war geboren und Mitte der 90er wurde es um das T für Transgender und später auch noch um das Q für Queer ergänzt. Mit dem Q nahm die Community eine andere Richtung. Sie wurde offener, löste Grenzen auf und die Abkürzung LGBTQ+ stand nun nicht mehr nur für die eigene sexuelle Orientierung, sondern für so viel mehr: Gender Identity, Gender Expression, non-monosexual Orientierungen (bi-, pansexuell), non-monogamy Beziehungen (Polyamorie). Im Großen und Ganzen eben alles, was nicht dem heteronormativen Gesellschaftsbild entsprach.

Ihr seht die Labelfrage stieg mit den Jahren immer weiter in die Höhe und wird immer mehr präsenter. Weshalb ist das so?

Überraschung: Die Gesellschaft wird weder schwuler noch queerer. Sie war es schon immer. Es fehlte nur die Repräsentation von Vorbildern, Toleranz sowie Akzeptanz der Gesellschaft und letztendlich der Mut sowie die Vokabeln dazu. Leider sind wir eben nicht alle nur Menschen und die Bezeichnung der eigenen sexuellen Orientierung ist leider nicht einfach nur egal. Homo-, Queer-, und Trans- phobie sind heute aktueller als je zuvor. Dabei identifizieren sich ganze 7,4% der Bevölkerung in Deutschland als ein Part von der LGBTQIA+ Community, vermutlich sind es sogar weit aus mehr.

80% der LGBTQ+ Jugend in Deutschland erfährt noch heute auf regelmäßiger Basis Diskriminierung. Besonders in der Schule, am Arbeitsplatz, im Sportverein oder in einer (religiösen) Gemeinde. 55% der Erniedrigungen geschehen „lediglich“ auf verbaler Ebene, 10% dagegen leider sogar körperlich. Dabei sind auch schon Sätze wie Du bist doch noch viel zu jung um so etwas zu wissen..., Du siehst gar nicht so aus…, Du verhältst dich doch gar nicht so…/Du verhältst dich nicht wie (hier jeweiligen Stereotyp einfügen)…extrem verunsichernd und verletzend. Der Spitzenreiter bei solchen Kommentaren ist bis heute Labels sind unnötig, wir sind doch alle gleich. Dem ist nämlich leider nicht so oder wie erklärt ihr euch die antihomosexuellen Gesetzte in 72 Ländern dieser Welt. In 13 Ländern Asien sowie Afrikas steht darauf sogar die Todesstrafe. Sie wird im Iran zwar nicht mehr praktiziert, aber alleine, dass es noch offiziell im Gesetzesbuch steht ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Desweiteren gäbe keine (sexuellen) Übergriffe, keine Conversion-Therapys, lesbische Paare würden genauso viel im Durchschnitt verdienen wie ein schwules Pärchen, homosexuelle Männer dürften endlich Blut spenden, beide/alle Angehörigen einer homosexuellen/ polyamurösen Beziehung dürften das/die Kind/er adoptieren (nicht nur eine Person), trans Personen würden nicht mehr mit ihrem Deadname in der Geburtsurkunde ihres Kindes vermerkt werden, das schnelle und einfache Ändern des Namens sowie des Geschlechts sollte sowohl binären, als auch nicht binären trans Personen möglich sein (auch ohne Gerichtsbeschluss).

Labels diskriminieren nämlich keine Menschen, von der Norm abweichen, oder „anders sein“ stigmatisiert keine Menschen, Menschen diskriminieren Menschen. Labels bezeichnen lediglich die Bezeichnung des Andersseins. Es ist verlockend zu glauben, dass die Herabsetzung durch das Anderssein ausgelöst wird. Es ist ebenso verlockend zu glauben das Ignoranz des Problems bei der ganzen Sache hilft. Ein Großteil der Menschheit entspricht eben mit ihrer Heterosexualität sowie übereinstimmenden Geschlechtsidentität mit ihrem Geschlecht der Mehrheit und somit der vermeintlichen Norm. Was absolut falsch ist, denn wir wissen an sich gibt es keine Norm. Wer Mitglied der Mehrheitsgesellschaft ist, macht sich oftmals weniger Gedanken über die eigenen Privilegien als LGBTQ Menschen sich Gedanken über ihre Benachteiligung machen (müssen).

Jemanden den es nicht betrifft fühlt sich schuldig. Was ich nachvollziehen kann, denn oftmals hat man Dinge wie Menschrechte oder das Selbstbestimmungsrecht oder das Recht für uneingeschränkte Liebe als etwas völlig Natürliches wahrgenommen. Was es ja auch sein sollte, nur eben leider nicht ist. Natürlich sind Labels nicht immer nur positiv. Wie so ziemlich alles in der Welt gibt es auch hier Vor- sowie Nachteile. Denn selbst mit queeren Labels, die die Gesellschaft eigentlich aufbrechen sollen kommen gerne weitere Stigmatisierungen innerhalb der Community zum Vorschein. Deshalb, Labels bestimmen keine Menschen. Eine homosexuelle Frau darf genauso Männer attraktiv finden wie sie Frauen attraktiv findet. Wenn die Frau meint sie sei lesbisch dann ist sie lesbisch.

Ebenso sollten Labels uns nie als Person determinieren. Sich selbst zu labeln ist meist erst der Anfang von etwas viel Größerem und sollte nicht der gesamte Lebensinhalt eines Menschen sein. Schließlich hat jeder unfassbar viele Dinge mit denen er/sie/es sich bezeichnet. Dass sich gerade LGBTQ+ Mitglieder augenscheinlich auf ihr „Queer“ sein reduzieren liegt daran, dass sie viel im Alltag damit konfrontiert werden. Menschen, welche heterosexuell sind merken oftmals nicht wie verständlich sie von ihrer Partnerschaft oder Ehe erzählen können. Homosexuelle, bi-, pan-, poly oder a- romatisch/sexuelle Menschen laufen jedes Mal genervte Blicke oder private Fragen entgegen geschleudert zu bekommen sobald sie den Mund aufmachen und über sich reden (wollen). Vom Gefahrenpotenzial, was von Gästen ausgeht gar nicht erst angefangen. Menschen sieht man eben nicht an, was man über Nicht-Heterosexualität hält…

Gleichzeitig ist es genauso unangebracht, wenn LGBTQ+ Mitglieder sexistisch in die andere Richtung sind. Nur weil eine Person zufällig heterosexuell, weiß oder cis ist, hat sie nicht automatisch einen schlechten Charakter. Die Lebenserfahrungen sind nur ganz andere was (leider) häufig bedeutet, dass Menschen, die das Privileg besitzen sich mit dem Geschlecht zu identifizieren was ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde Transgender häufig absolut nicht verstehen können. Wie auch? Ähnlich sieht es mit der Sexualität aus. Heterosexuelle Menschen werden vermutlich niemals in ihrem Leben aufgrund der Art und Weise wie sie Lieben diskriminiert werden. Erst recht nicht müssen sie Angst um ihr Leben oder ihre Familie haben. Gerade in jungen Jahren macht dies etwas mit einem.

Labels sind ebenso toxisch, wenn sie Personen von anderen aufgezwungen werden. Der Ursprung des Wortes Schwul ist eine Beleidigung, bis die homosexuellen Community es sich zu eigen gemacht hat. Heute ist es eine reguläre Bezeichnung für homosexuelle Männer. Gerade meiner Generation und die dort drunter benutzen schwul leider wieder als Schimpfwort. Dabei steht es oftmals für Dinge, die ein richtiger Junge nicht zeigen darf/ kann sollte. Dinge wie stereotypische feminine Ausdrucksweisen. Die Phrase NoHomo ergänzt das Bild perfekt. Homosexualität wird zu einem negativen Anders sein und Betroffene trauen sich Jahre lang nicht sich zu outen oder sich ihre Sexualität einzustehen weil sie in permanenter Angst leben geoutet zu werden. Depressionen, zunehmende Isolation und andere psychische Krankheiten sind die Folgen.

Es ist ebenso wenig okay, einen augenscheinlichen Stereotyp als etwas zu bezeichnen was er nicht ist. Männlich gelesene Person gibt sich feminin und tanz Ballett. Diese Person muss folglich homosexuell sein. Nein, muss sie nicht. Wenn diese Person meint hetero zu sein, dann ist sie hetero. Genauso wenig akzeptabel ist es Menschen, die sich bi/pan bezeichnen als heterosexuell zu bezeichnen sobald die Person mit dem andersgeschlechtlichen Partner zusammenlebt. Zu guter Letzt Bisexuelle, pansexuelle oder polysexuelle, a-romantische Menschen sind keine Schlampen oder Womanizer.

Labels habe ihre positiven Seiten. Feste Definitionen erleichtern nicht nur den Diskurs über die strukturelle Diskriminierung von LGBTQ Menschen, auch erleichtern sie die Communitybildung. Schließlich bieten feste Definition Grundsteine zu Identifikation. Je mehr Menschen sich mit der Definition identifizieren desto größer und stärker wird die Community. Im besten Falle entsteht ein sicheres Umfeld in denen Angehöriger der Gruppe sich gegenseitig unterstützen, austauschen, informieren können. All dies in einem Rahmen, in dem sie vor Diskriminierung keine Angst haben müssen.

21 Kommentare

  1. … B hat eigentlich fast alles gesagt… und eigentlich kann man deinen Beitrag kaum ergänzen… ausser von einem Blumenmädchen… ich habe alle Tierchen mit ihren Plesierchen lieb… es sei denn, sie diskreminieren die Anderen…

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    1. Aber selbst das Diskriminieren entsteht meiner Meinung nach aus einer Unsicherheit heraus. Bspw. Transgender, die T (Testosteron) nehmen oder eben nicht. Ich glaube, da geht es mehr um Angst, Unsicherheiten, Nebenwirkungen als um Gruppenzugehörigkeit.

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      1. Yep….das ist wohl so….ich widerspreche übrigens nur in einem Punkt. Sicher hat es diese Vielfalt immer schon gegeben und auch nie so offen, trotzdem scheint es mir sehr viel mehr zu sein. Ich kann mich aber auch täuschen.

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      2. … das empfinde ich wie wie du… aber ich interpretiere es als Jakobsweg der sexuellen Findung… ganz ehrlich… ist dich das Pilgerziel, du findest Er,Si,Es… und mit Es ist kein Kind oder Tier gemeint… und fühlt sich im Partner einfach nur angekommen und liebevoll angenommen…

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      3. Ja und das ist zum Teil ein langer einsamer Weg, bis man sich traut, sich seinen Eltern zu öffnen, wenn überhaupt.
        Ich stelle es mir als schwierig vor, zu wissen, dass man anders ist, aber eben nicht in welcher Weise….wie Du sagst Jakobsweg….in ein glücklicheres Leben, aber schwieriges.
        Viele brauchen Therapie und/oder nehmen Drogen/Alkohol. Es ist kein leichtes Leben, weil die Gesellschaft so wenig unterstützt.

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      4. Ich spreche hier mal aus der Historikersicht:
        1. Das vermehrte Aufkommen wird durch Medien ja noch verstärkt. Früher haben solche Nachrichten kaum Anklang gefunden.
        2. Solche Identitäten gab es tatsächlich schon immer, es wurde nur eben nie drüber gesprochen aus bestimmten Gesellschaftlichen negativen Folgen (Beschuldigung der Hysterie, Zuchthaus, Todesstrafe etc.)
        3. Ob es wirklich so viele waren, können wir schwer sagen da vor allem nicht-binäre Menschen strukturell gar nicht in schriftlichen Quellen vorkommen. Früher gab es nur männlich oder weiblich. Einen Prototypen einer VÄ/PÄ kannst du vlt noch finden. Jedoch ist es schwer, wenn die eigene Identität noch nicht einmal strukturell existiert.
        4. Es wird vor allem interessant, wenn wir in die Welt schauen. Viele Kulturen erleben/leben/ Geschlecht ganz anders als wir. Bspw. Persien, die Perser früher hatten kein Wort für Gender oder alles Gender bezogene. Sie hatten Frau und Mann, jedoch gab es dort zwischen ganz verschiedene Typen und Lebensweisen/ Subgruppen wie die Lutis oder Amrads, die vor dem Einmarsch der Russen und Briten absolut gesellschaftlich anerkannt waren.

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      5. Dein Exkurs war unglaublich interessant. Jetzt tendiere ich eher dazu, dass ich mich mit meiner Einschätzung wohl getäuscht habe. Vielleicht gab es wirklich immer so viele, nur halt nicht so offen ausgelebt.
        So oder so beneide ich sie nicht um ihren Kampf. Sie müssten allein darum schon geachtet werden, den schwierigen Prozess der Selbstfindung zu durchleben.

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      6. Die Rechtsextremisten sind wohl die schlimmsten, aber selbst die meisten normalen Bürger haben schon Berührungsängste mit der LGBTQ community. Sie brauchen unglaublich viel Kraft.

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      7. Bei Rechtsextremen bist du drauf gefasst und kannst sie gezielt meiden. Da schlimmste sind enge Freunde/ Familienangehörigen, Eltern… oder eben TERFs. Feminist_innen, die trans exklusiv sind…. Kannst du dir nicht ausdenken

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      8. Es gibt auch Trangender die Östrogene bzw. Progesteron nehmen… ;) Nur weil du das T so in Klammern geschrieben hast (hat mich wieder rum irrtiert. Ja, leider ist die LGBTQIA+ Szene sehr instabil, was das eigene Ego angeht. Man möchte meinen, die kämpfen für einen but nope…. Mit unter ein wenig sehr anstrengend.

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      9. Es war mehr als Beispiel gedacht….du hast natürlich recht. Ich finde blöd, dass sie sich untereinander auch ausgrenzen. Gemeinsam wären sie wahrscheinlich stärker!

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      10. Ich habe auch mal auf YouTube eine Transgender sich rechtfertigen sehen, weil sie sich weigerte T zu nehmen und sie erzählte, wie sehr sie angefeindet wurde.

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  2. Übrigens wieder ein klasse Beitrag. Labels sind sicher stigmatisierend, helfen aber auch bei der Einordnung, sowohl für sich selbst als auch für andere. Aber das hast Du ja auch gesagt.

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  3. Kennst Du Harvey Milk? Er ist eine Ikone in der US Community. Auf Netflix gab es den Film Milk zumindest mal.

    Ich finde erstaunlich, dass innerhalb der LGBT 🏳️‍🌈 community man sich gegenseitig sogar bekämpft, um bloß nicht falsch eingeschätzt zu werden. So sehr liegen die Nerven blank.
    Mich interessiert das Thema sehr.
    In den USA zumindest in NY kann man auch als Kind Namen und Geschlecht in allen Dokumenten ändern lassen. Man muss nur Therapie nachweisen und zu einem Richter gehen.

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    1. Den Film über Harvey Milk, war mal in meiner 100 beste Filme Liste aller Zeiten :D
      Hier kann man auch seinen Personenstand und seinen Namen ändern lassen, nur ist das alles ein sehr Zeitraubender Aufwand und vor allem teuer…

      Zumal dafür noch zwei psychologische Gutachten nötig sind, und leider sehr viele Psycholog_innen Gatekeeping betreiben á la „ich entscheide ob du männlich/weiblich genug bist, ansonsten bekommst du kein Gutachten von mir“. Vor allem für nicht-binäre Menschen ein graus. Zu der Problematik wird es aber auch ne Artikelreihe geben

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      1. Das klingt nicht wirklich hilfreich, mehr nach Überzeugungsarbeit. Da ist man in den USA fortschrittlicher….zumindest in New York.

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